USA

Bedenken im Exil

Juden im Jemen: Bisher hat sie der Präsident geschützt. Aber was ist, wenn er demnächst gestürzt werden sollte? Foto: getty

Gina Waldman, die damals noch Bublil hieß, war gerade 19 Jahre alt, als ein libyscher Mob sie und ihre Angehörigen beinahe umgebracht hätte. »Meine Eltern, Großeltern, Onkel und Tanten saßen in dem Bus, der uns eigentlich zum Flughafen bringen sollte, um Libyen zu verlassen. Ich war kurz ausgestiegen. Unser muslimischer Fahrer hatte das Benzin aus dem Tank laufen lassen, hielt die Streichhölzer schon in der Hand, und eine immer größer werdende Menge schrie ›Juden, Juden‹, um ihn anzufeuern.« In letzter Minute wurden Waldman und die anderen von Christen gerettet. Das war 1967.

»Ich kann mir nicht helfen«, sagt sie, »wenn ich heute die Bilder aus dem Nahen Osten sehe, die Menschen, die gegen ihre Regierungen protestieren, bin ich froh für sie, und gleichzeitig habe ich Angst – um Israel, um die wenigen Juden, die in diesen Ländern noch leben, und um die Christen dort. Ich kann den Hass, den ich damals in den Augen dieser Menschen gesehen habe, einfach nicht vergessen.«

Aufstände Sie steht mit dieser Haltung nicht allein. Die meisten Juden, die seit 1948 aus arabischen Ländern vertrieben wurden und nun in den Vereinigten Staaten leben, sind angesichts der Aufstände in diesen Ländern weitaus skeptischer über deren Zukunft. Und vor allem machen sie sich Sorgen um Israel, stärker als der Durchschnitt der amerikanischen Juden.

Während vor allem politisch liberale Juden die Chance sehen, dass sich die arabische Welt nun stärker auf sich konzentriert – auf den Aufbau von Demokratie, auf Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum –, fragen sich Menschen wie Waldman, wofür die Mehrheit dieser Völker wohl wirklich steht. »Eine Demokratie kann man am besten an zwei Dingen erkennen«, sagt Waldman, die heute in der Nähe von San Francisco lebt: »Haben Frauen gleiche Rechte? Und gibt es Freiheit und Schutz für Minderheiten und Andersdenkende?«

Doch um das zu erreichen, brauche man eine liberale Erziehung und eine, die Respekt vor anderen lehre, sagt Joseph Wahed, der im Alter von 16 Jahren aus Ägypten fliehen musste. »Ich bin ein ägyptischer Jude, und ich habe wunderbare Erinnerungen an meine Heimat und Kindheit, die Freundlichkeit mancher arabischer Nachbarn, die Toleranz zwischen den verschiedenen Kulturen. Doch ich erinnere mich auch daran, wie sich alles über Nacht änderte.«

moderat Spätestens als die Muslimbruderschaft die Gesellschaft mit ihrer islamistischen Sichtweise radikalisiert habe, sei der unterschwellig stets vorhandene Antisemitismus salonfähig geworden. »Und nun verkaufen Politiker im Westen die Bruderschaft als eine moderate Organisation? Moderat im Gegensatz zu wem?«

Neben den Andeutungen neu erkorener Oppositionspolitiker, dass Israel sich nun auf andere Zeiten einrichten müsse, gebe es so viele Hinweise auf einen immer offener zutage tretenden Antisemitismus, über die im Westen großzügig hinweggesehen würde. Als Beispiele nennt Wahed die Auftritte des judenfeindlichen spirituellen Führers der Muslimbruderschaft, Scheich Yusuf Qaradawi, in Ägypten, die Angriffe auf eine amerikanische Fernsehreporterin unter antisemitischen Schlachtrufen oder die Reden des radikalen Geistlichen Abdul Majid al Zindani im Jemen. Man müsse schon die Augen verschließen, um sich keine Sorgen zu machen, so Wahed, der in Kalifornien Chefökonom von Wells Fargo wurde.

Der heute 74-Jährige macht sich angesichts dieser Entwicklungen im Nahen Osten große Sorgen um Israel. »Wahrscheinlich können wir Juden, die in diesen Ländern gelebt haben, am besten verstehen, wie besorgt Israel derzeit ist – mit iranischen Kriegsschiffen im Suezkanal und der Aussicht, dass der Gazastreifen bald unkontrolliert beliefert werden kann«, sagt er.

Es sei Zeit gewesen, dass sich die Ägypter von einer Diktatur befreit hätten, und er sei glücklich für sie, sagt Wahed. »Doch angesichts der Naivität von Politikern wie US-Präsident Obama wird mir schwindlig. Glaubt er wirklich, wenn die Siedlungen in der Westbank verschwinden und der israelisch-palästinensische Konflikt gelöst ist, verschwindet der Antisemitismus?« Als Wahed Kairo 1952 habe verlassen müssen, »gab es keine Siedlungen, sondern nur einen Angriffskrieg der Araber«, sagt er, »und trotzdem wünschten die meisten Araber Israel und die Juden ins Meer«.

Öl Yehuda Tassa ist Juwelier, wie es vor ihm schon sein Vater und Generationen von Juden im Jemen waren. Er wohnt in Palo Alto im Silicon Valley. Täglich fertigt der 74-Jährige filigrane Schmuckstücke an, und mit demselben Gleichmut, den er für diese Aufgabe braucht, kommentiert er die westlichen Reaktionen auf die Geschehnisse im Nahen Osten. »Für die amerikanischen und europäischen Politiker war die Sorge um ihr Öl jahrzehntelang wichtiger als die Sorge um Demokratie in muslimischen Ländern. Warum sollte ihnen nun die Sorge um die Juden wichtiger sein als ihr Öl?«

Tassa sagt, es stimme ihn traurig, dass sich nicht mehr Politiker und die Öffentlichkeit insgesamt für das Schicksal der Juden interessieren, die aus arabischen Ländern vertrieben worden sind. »Wüssten sie mehr über uns, würden sie nicht nur den Nahostkonflikt, sondern auch Israels Situation besser verstehen.« Im Jemen leben heute nicht einmal mehr 400 Juden, unter starken Restriktionen, »doch immerhin hat der Präsident sie bisher beschützt«, sagt Tassa. Für ihn ist es ironisch, dass gerade die Diktatoren dieser Länder diejenigen sind oder waren, die den Islamismus bekämpften und so eine gewisse Ordnung und damit auch den Schutz der letzten Juden gewährleisteten.

Sogar der libysche Diktator Muammar al-Gaddafi ist in den vergangenen Jahren auf die Exiljuden zugegangen. 2006 bat er ihnen Gespräche über eine Entschädigung und über eine angemessene Umbettung der verstorbenen Juden auf jüdische Friedhöfe an. »Aus alledem ist nie etwas geworden, und wahrscheinlich war es eher ein Versuch, dem Westen seine zivile Ader zu zeigen«, sagt Gina Waldman, »aber das ist genau die Richtung, in die alle diese Länder nun gehen müssen, wenn es ihnen mit Demokratie und Menschenrechten ernst ist.«

Illusionen Doch sie mache sich keine Illusionen für die Gegenwart, sagt Waldman. Erst müsse eine neue Generation heranwachsen, die ohne Hass auf andere Kulturen aufgewachsen sei. Wenn sie sich die Situation der Christen in Libyen ansehe, wisse man, wie weit der Weg dahin noch sei. Und auch Joseph Wahed sieht das weitere Schicksal der Christen als einen der Lackmustests für die Toleranz in diesen Ländern. »Wir Juden haben immer gesagt: ›Erst kommt der Samstag, dann der Sonntag.‹ Und in Ägypten sieht es nicht rosig für die Christen aus.«

Wahrscheinlich verhielten sich die meisten Christen in diesen Ländern ohnehin schon so, wie sich die Juden im Iran seit Jahren verhielten, sagt Jaleh Pirnazar, die aus dem Iran stammt und nach ihrem Studium in den USA blieb, wo sie heute als Professorin in Berkeley lehrt. »Die Juden im Iran versuchen, unter dem Radar zu bleiben. Das ist der Grund, warum sie sich nicht an der Grünen Revolution beteiligen, obgleich sie sie inhaltlich vielleicht unterstützen. Sie dürfen und wollen nicht auffallen.« Nur so hielten es die rund 20.000 Juden im Iran heute noch aus. »Doch mit Toleranz oder einer wirklichen Akzeptanz von Andersdenkenden hat die Haltung einer Mehrheitsgesellschaft, in der so etwas nötig ist, gar nichts zu tun.«

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