USA

Baum der Erkenntnis

Rettung vor dem Fall: Baumbeschützer bei der »Arbeit« Foto: Reuters

Mammutbäume sind die größten Bäume der Welt. Sie können bis zu 90 Meter hoch und 2.000 Jahre alt werden. Zwei Monate meines Lebens habe ich auf einem Mammutbaum gelebt, der gefällt werden sollte. Baumbesetzungen haben sich als wirksames Mittel erwiesen, riesige Wälder zu schützen, und dazu beigetragen, dass sich an der Politik in dieser Hinsicht vieles geändert hat.

Nichtsdestoweniger werden noch immer viele wunderschöne alte Bäume gefällt. 95 Prozent der Mammutbäume an der Nordwestküste Amerikas wurden gefällt, um daraus Schiffsdecks, Spielplatzgeräte und Werkzeuge herzustellen. Der Kahlschlag hat aus gigantischen, üppigen, lebendigen und uralten Wäldern erodierte Wüsteneien gemacht. Es wurden Lebensräume zerstört, Wasser wurde vergiftet und der ökologische Fußabdruck der menschlichen Spezies auf unserem Planeten massiv vergrößert.

Traumfänger Auf unserem Baum, dem wir den Namen »Libertal« gaben, lebten wir auf Konstruktionen, die wir »Traumfänger« nannten: Hängematten, die wie ein Spinnennetz mit den äußeren Ästen der Krone verknüpft und von einer Plane umschlossen wurden. Auf dem Traumfänger lagen Berge von Schlafsäcken und Decken, und an nahen Ästen hingen 20-Liter-Eimer voll Lebensmittel, oft Spenden aus nicht verkauften Resten vom Bauernmarkt. An einem Ast hing eine Art Tresen mit einem kleinen eingebauten Camping-Kocher. Unsere Toilette waren große Eimer mit festen Deckeln. Mithilfe von Gurten und Seilen, die an der Spitze des Baums befestigt waren, kletterten wir den Libertal hinauf und hinunter. Wir lasen und redeten viel, machten Musik, es wurde gekocht, gebastelt, repariert, und wir beobachteten Vögel und zahlreiche Sonnenuntergänge.

Baumbesetzer schaffen zwischen den Bäumen Gemeinschaften mit Hilfe von Seilen. Ich bin in Baumdörfern mit acht Menschen gewesen, ein andermal war ich kilometerweit der einzige Mensch. Freiwillige aus unserer Gemeinschaft, einer Art Unterstützergruppe am Boden, brachten ein- oder zweimal in der Woche Vorräte zu uns, oft mitten in der Nacht, nach ihrer Arbeit oder Schule. Ich stand auf und zog Lebensmittel, Wasser, Bücher, warme Decken, Seile und worum wir sonst noch gebeten hatten, mithilfe eines Flaschenaufzugs nach oben.

Am Schabbat zündete ich Kerzen an, segnete den Wein oder Traubensaft, aß meine besten Sachen und sang mich dann in den Schlaf. An Chanukka versammelten sich acht Menschen in einem Baum, zündeten die Kerzen an, sangen Lieder und feierten. Es gab auf dem Traumfänger nicht genug Platz, und so hing ich während der Party im eingerasteten Abseilgerät.

Dort oben in den Bäumen kann man eine ganze Reihe spannender Dinge tun. Doch die meiste Zeit dachte ich nach. Ich fragte mich oft, was mich wohl dazu gebracht hat, etwas so Radikales zu tun, und ich fand heraus, dass mein Judentum einer der Hauptgründe war.

Wagnis In wenigen Tagen ist Tu Bischwat, da feiern wir den Geburtstag der Bäume und erzählen die Geschichte von Honi, dem Kreiszeichner. Der fragte einen alten Mann, warum er einen Johannisbrotbaum pflanzte, obwohl es Jahrzehnte dauert, bis diese Bäume Früchte hervorbringen. Der alte Mann sagte, er habe ihn den künftigen Generationen zuliebe gepflanzt. Aus diesen und unzähligen anderen jüdischen Überlieferungen habe ich gelernt, für künftige Generationen zu planen, unsere Bäume zu lieben, unsere Eltern zu achten. Und für das, was ich schätze und woran ich glaube, gehe ich auch mal ein Wagnis ein.

Unsere Schöpfungsgeschichte berichtet, dass die Menschen in einem kostbaren Garten lebten und dass sie mit der Verantwortung gesegnet wurden, für den Garten zu sorgen. Ich glaube, dass es den Garten noch gibt: Er wird sichtbar, wenn wir die Natur als Segen erkennen und die Verantwortung für ihr Wohlergehen übernehmen.

Der neue große »Baum«, auf dem ich sitze, ist ein jüdisches Umweltschutz-Sommerlager. Mithilfe zweier Stiftungen ist das Eden Village Camp Wirklichkeit geworden. Es liegt auf einem Quadratkilometer Land an einem herrlichen See, eine Autostunde nördlich von New York, umgeben von einem Naturschutzgebiet. Unser Ziel ist es, Generationen von jüdisch motivierten Weltverbesserern zu inspirieren, die die Kraft spüren, nach ihren Überzeugungen zu handeln.

Der Autor ist Gründungsdirektor des Eden Village Camps.
www.edenvillagecamp.org

USA

Der Lautsprecher

Howard Lutnick gibt sich als Architekt der amerikanischen Zollpolitik. Doch der Handelsminister macht sich mit seiner aggressiven Art im Weißen Haus zunehmend Feinde

von Sebastian Moll  18.04.2025

Ungarn

Die unmögliche Geige

Dies ist die zutiefst berührende Geschichte eines Musikinstruments, das im Todeslager Dachau gebaut und 70 Jahre später am Balaton wiedergefunden wurde

von György Polgár  17.04.2025

Medien

Noa Argamani ist auf der »Time 100«-Liste

Alljährlich präsentiert das »Time Magazine« die 100 einflussreichsten Menschen der Welt. 2025 ist auch eine freigelassene israelische Geisel dabei

 17.04.2025

USA

Neuauflage von Weinstein-Prozess startet

Vor gut einem Jahr überraschte ein Gericht in New York die Welt und hob das historische Vergewaltigungsurteil gegen Harvey Weinstein auf. Nun wird über die Vorwürfe erneut verhandelt

von Benno Schwinghammer  14.04.2025

Türkei

Die Optimistin

Liz Behmoaras schrieb über das jüdische Leben im Land – und für das Miteinander. Ein Nachruf

von Corry Guttstadt  14.04.2025

Ägypten

Gefährliches Paradies

Der Sinai ist einer der wenigen Urlaubsorte im Ausland, den Israelis auf dem Landweg erreichen können. Gern auch zu Pessach. Aber zu welchem Preis?

von Matthis Kattnig  11.04.2025

Feiertag

Putzen, Plagen, Playmobil

Neben Mazza und Haggada bietet Pessach Raum für ganz neue, individuelle Rituale. Wir haben uns in sieben Familien in Europa und Israel umgehört

von Nicole Dreyfus  11.04.2025

Israel-Boykott

Johnny Rotten nennt Hamas »einen Haufen von ›Judenvernichtern‹ «

Eine irische Zeitung hat versucht, den Ur-Punk Johnny Rotten vorzuführen, der sich kraftvoll gegen einen Boykott Israels wehrt. Das ging gründlich schief

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025

USA

Eine Hochschule und ihr LGBTQ-Klub

Die einen feiern den »Meilenstein für queere Juden«, die Yeshiva University rudert zurück. Nicht nur die orthodoxe Gemeinschaft ist verwirrt

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025