Vor zwei Jahren waren Judit Polgárs erste Makkabi-Spiele. Ein Mäzen übernahm die Honorare und Preisgelder für ein Dutzend starker Profis. Sie kamen nicht nur aus Israel, sondern auch aus Russland, der Ukraine, Deutschland und, im Falle Polgárs, aus Ungarn.
Schach ist bei den Makkabi-Spielen gewöhnlich eine Angelegenheit für Amateure, aber vor zwei Jahren in Netanya war es einer der attraktivsten Schachwettbewerbe des Jahres. Zugleich war es ein Großmeisterturnier wie andere auch, erinnert sich Judit Polgár mit Bedauern: »Wir Schachspieler blieben unter uns. Von den anderen Sportarten habe ich fast nichts mitbekommen.«
Triumph Diesmal, bei den Europäischen Makkabi-Spielen in Wien, hat die Budapesterin vielleicht mehr Gelegenheit, sich umzuschauen. Statt sich tagelang mit starken Kollegen zu messen, gibt sie am 10. Juli eine Simultanvorstellung. Binnen zwei, drei Stunden wird sie 20 Hobbyspieler reihum gehend abfertigen. Der eine oder andere wird ihr vielleicht ein Remis oder einen Sieg abtrotzen und einen persönlichen Triumph feiern. Sportlich bedeutsam ist es nicht.
Judit Polgár mag diese Art, ihren Denksport zu promoten. Nicht nur, weil Simultanspiele vergleichsweise gut honoriert werden, sondern auch, weil sie gerne reist und Leute trifft. In ein paar Wochen wird sie 35 Jahre alt. Seit 1989, also fast zwei Drittel ihres Lebens, ist sie die beste Schachspielerin der Welt. Schon genauso lange meidet sie Frauenturniere. Weltmeisterin war sie nie. »Es ist keine Herausforderung für mich. Ich bin mit dem Ziel aufgewachsen, Kasparow zu schlagen. Ich bin so erzogen worden, dass Männer und Frauen das Gleiche leisten können.«
Geschlechter Enge Kontakte mit anderen Berufsspielerinnen habe sie kaum. Sie weiß, dass ihre Kolleginnen anders denken, dass sie als arrogant verschrieen ist und sogar von einzelnen dafür verantwortlich gemacht wird, dass im Frauenschach nicht mehr zu verdienen sei. Dabei winken in Frauenwettbewerben Preisgelder, von denen Männer gleicher Spielstärke nur träumen dürfen. Vielen Spielerinnen fehle der Antrieb, so hart wie Weltmeister Viswanathan Anand zu trainieren.
»Die Trennung des Frauenschachs hat wahrscheinlich mehr Frauen zum Schach gebracht, aber sie hilft sicher nicht, das Niveau zu heben«, urteilt Polgár. Sie glaube nicht, dass die einseitige Geschlechtertrennung im Schach in absehbarer Zeit aufgehoben wird. Die Interessen am Status quo seien stark. Als in China eine Denksportolympiade ins Leben gerufen wurde und die Frauen unter sich Schach, Go oder Bridge spielten, war sie schockiert: »Dass man Traditionen beibehält, verstehe ich ja, aber im 21. Jahrhundert kann man doch das nicht so lancieren.«
Hackordnung Im Frauenschach dominieren seit den 90er-Jahren die Chinesinnen. Chinas Männer sind zwar absolut stärker, aber in der internationalen Hackordnung nicht führend und wurden von oben verdonnert, die Frauen beim Titelsammeln zu unterstützen. Vorigen Dezember wurde die 16-jährige Hou Yifan Weltmeisterin. Noch liegt Hou rund 100 Weltranglistenplätze hinter Polgár. Aber die junge Chinesin hat das Potenzial, als zweite Frau die erweiterte Weltspitze zu erreichen.
Polgár ist mit chinesischen Veranstaltern über einen Zweikampf mit Hou im Gespräch. »Es wäre keine offizielle Frauen-WM, aber jeder würde das Match als solche ansehen.« Wenn das Angebot stimmt, kann sie sich so einen Zweikampf gut vorstellen. Dafür müsste sie sich ernsthaft vorbereiten. »Ich bin nicht mehr so professionell. Ich tue zwar jeden Tag ein bisschen für Schach, aber ich bin zweifache Mutter, schreibe Kinderschachbücher und reise viel.« Zuletzt ist ihre Weltranglistenzahl unter 2.700 gerutscht. Aber ihr kürzlicher dritter Platz bei der Europameisterschaft (der Herren) habe ihr bewiesen, dass sie auch wieder zulegen kann.
Wenige Tage nach ihrem Wiener Gastspiel reist sie zur Mannschafts-WM ins chinesische Ningbo. Vielleicht wird sie dort wieder die einzige Frau an den Brettern sein. Auch Israel ist qualifiziert. Polgár hat neben dem ungarischen einen israelischen Pass. In beiden Ländern hat Schach Tradition und mal mehr, mal weniger Unterstützung. »Richtig zufrieden sind die Profis fast nirgends«, weiß Polgár. Als ihre Schwester Zsofia Alija machte, überlegte sie auch selbst, auszuwandern, doch dann traf sie ihren heutigen Ehemann Gusztav, einen Tierarzt.
In China wird sie gegen Israel spielen. Ein besonderer Wettkampf sei es für sie aber nicht, sagt Polgár und verweist auf ihr Motto: »Auf dem Brett soll es so blutig wie möglich zugehen, abseits vom Brett so freundschaftlich wie möglich.«