Nachdem bereits im Januar die Corona-Abstandsregeln gefallen sind, kann Purim in diesem Jahr in Großbritannien wieder so gefeiert werden wie vor der Pandemie. Ein Veranstalter wirbt mit Europas größter Purimparty, andere laden zu einem riesigen Maskenball in einen Klub in Londons Trendviertel Camden Town, und die ultraorthodoxen Gemeinden veranstalten in Stamford Hill wieder einen Straßenumzug. Den gab es zwar auch im vergangenen Jahr, doch unterlag er damals noch den Abstandsregeln.
Rabbinerin Alexandra Wright von der liberalen Synagoge im Londoner Stadtteil St. Johns Wood beobachtet, dass Purim dieses Jahr bei vielen extra Freude aufkommen lasse – darüber, dass man endlich wieder zusammenkommen kann. Die Purimgeschichte vom Sieg über das Böse hätte wegen des Kriegs in der Ukraine in diesem Jahr eine ganz besondere Bedeutung. »Wir ziehen Parallelen und fragen uns: Wie lassen sich die Kräfte des Hasses und des Bösen besiegen? Wie kann die Entschlossenheit eines Staatschefs gebrochen werden, der ein Nachbarland auslöschen möchte?«
ROLLEN Für das Lesen der Megilla hat Wrights Synagoge dieses Jahr besondere Hilfe von außen angeheuert. Die Coaching-Expertinnen Shoshana Bloom und Rachel Knightley sollen die Rollen und Identitäten in der Purimgeschichte analysieren.
Knightley erklärt, dass es ihr und Bloom um die Geschichten geht, die Menschen über sich selbst erzählen, und die Rollen, die Menschen haben, insbesondere, welche Stärken und welches Potenzial sich dahinter beherbergen. »Bei keinem anderen jüdischen Fest ist das Auskundschaften von Rollen ein derart zentrales Thema wie in der Geschichte von Esther im Purimfest«, sagt Knightley und erinnert sich daran, wie sie sich als Kind verkleidete und dabei stets verschiedene Rollen annahm. »Auch damals wurde bereits analysiert und diskutiert, welche Motivationen hinter den Charakteren stecken und wie sie auf das, was die Welt von ihnen fordert, reagieren.« Im Zentrum ihres Purim-Workshops stehen die eigene Verantwortung und Entscheidungsfreiheit.
Knightley glaubt wie Wright, dass deswegen und auch wegen des lang ersehnten Zusammenseins in der Synagoge Purim dieses Jahr ganz besonders ist. Dies heiße allerdings nicht, dass sie die Zoomveranstaltungen während der Pandemie bedauere. Im Gegenteil, sagt Knightley, sie sei auf ihre heutige Geschäftspartnerin Shushana Bloom und die liberale Synagoge eigentlich erst über Zoom-Veranstaltungen gestoßen. Der gemeinsame Workshop zu Purim gehe darauf zurück.
PUPPENTHEATER Durch die neuen Möglichkeiten nach dem Ende der Corona-Beschränkungen hat auch das Londoner jüdische Gemeinschaftszentrum JW3 eine ganze Serie von Purim-Veranstaltungen im Programm. Zwar gab es auch 2021 an Purim ein paar Familienveranstaltungen im JW3, doch erst dieses Jahr könnte das Zentrum wieder so wie früher für alle offenstehen, die kommen wollen, sagt Jacob Morrison-Wood der die Verantwortung für das Marketing trägt.
Der 37-Jährige glaubt, dass die Pandemie keine negative Erfahrung gewesen sei. »Die Zahl der Menschen, die wir während dieser Zeit per Videoschaltungen online erreichten, hat sich weit über die alten Grenzen und sogar bis ins Ausland ausgeweitet.«
Einer der diesjährigen Purim-Höhepunkte ist eine (bereits ausverkaufte) Puppentheatervorstellung. Darin geht es darum, wie ein ganz gewöhnliches Leben zu einem Wunder wird. Darüber hinaus ist im JW3 ein jüdisches Komödiantenfest geplant. Und selbstverständlich gebe es auch in diesem Jahr wieder das sogenannte Family Purim, sagt Morrison-Wood: »Schminken, Kostümparaden, Superhelden-Spiele – und dieses Jahr neu: ›Soul Jump‹, die erste animierte virtuelle Kinderband der Welt.« Für junge Erwachsene steht außerdem ein Purim-Kabarett auf dem Programm mit Musik und frechen Witzen, welche die Purimgeschichte nachfühlen lassen sollen.
Hamantaschen Für Dara Laughlin, die im Jüdischen Museum in Manchester das Kinder- und Jugendprogramm gestaltet, ist dieses Purim von doppelter Freude. Denn mitten in der Pandemie haben sich endlich wieder die Türen des wegen einer Gesamtrenovierung lange geschlossenen Museums geöffnet – doch erst jetzt könne man Gäste in der neuen Galerie und der historischen Synagoge wieder richtig willkommen heißen, sagt die 25-Jährige.
»Letztes Jahr mussten wir uns auf die Geschichte des Tagebuchs von Harris House beschränken.« Das sind Einträge junger Mädchen, die 1938/39 mit den Kindertransporten aus Nazi-Deutschland und Österreich nach England kamen und eine Zeitlang im nordwestenglischen Southport lebten. »Es gibt in dem Tagebuch auch einen Eintrag über ein Purimspiel, das sie damals auf die Bühne brachten, inklusive Fotos in ihren Kostümen.«
Dieses Jahr hat das Museum Robin Simpson, einen professionellen Schauspieler und Geschichtenerzähler, eingeladen. »Er hat für Purim Geschichten geschrieben, die sich speziell auf einige unserer Ausstellungsstücke beziehen.«
Zudem stehen das Backen von Hamantaschen sowie ein Gourmetabend mit persischer Küche auf dem Purim-Programm. Falls es Besucher aus Deutschland an diesem Purim-Wochenende nach Manchester verschlägt, sollten sie im Jüdischen Museum vorbeischauen, empfiehlt Laugh, denn es gebe noch Karten.