Baden-Württembergs Ministerpräsident ist sauer - und macht seinem Ärger jetzt in einem Brief Luft. Am Mittwoch wandte sich Winfried Kretschmann schriftlich an Rabbiner Marvin Hier, den Vorsitzenden des Simon Wiesenthal Centers (SWC) und beschwerte sich in deutlichen Worten über die Einstufung seines Antisemitismusbeauftragten Michael Blume als einer der »schlimmsten Antisemiten« des Jahres 2021.
INTEGRITÄT Kretschmann drückte in dem Schreiben »sein tief empfundenes Befremden« aus ob der Tatsache, dass das in Los Angeles ansässige Zentrum Ende Dezember ausgerechnet Blume auf dem siebten Platz seiner Liste der schlimmsten antisemitischen Vorfälle weltweit aufgenommen hatte. Das Vorgehen des SWC sei »abwegig« und verharmlose »andere, tatsächlich antisemitische Vorfälle«, so der baden-württembergische Ministerpräsident wörtlich.
Es gebe überhaupt keinen Anlass, an Blumes Integrität zu zweifeln, betonte der Grünen-Politiker. Dieser leiste nämlich »seit Jahren einen wertvollen Beitrag im Kampf gegen den Antisemitismus und Judenhass in unserem Land und genießt bei den Israelitischen Religionsgemeinschaften höchste Reputation«. Blume genieße »das volle Vertrauen« der von ihm geführten grün-schwarzen Landesregierung. Blume sei darüber hinaus im deutschsprachigen Raum »ein hochgeschätzter Experte für Antisemitismus und Verschwörungsmythen«.
KAMPAGNE Das Simon Wiesenthal Center hatte Blume vorgeworfen, er habe antisemitische und antiisraelische Akteure und Positionen unterstützt oder sei nur unzureichend gegen diese vorzugehen. Als Begründung wurden von der Organisation einige wenige Posts auf Facebook zitiert, die Blume angeblich gelikt oder weiterverbreitet haben soll. Die Anwürfe waren größtenteils identisch mit denen eines für die »Jerusalem Post« tätigen Journalisten, der seit Jahren auf Twitter eine Hass-Kampagne gegen Blume und dessen Frau fährt, und bezogen sich zum Teil auf das Jahr 2019.
Sowohl die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) als auch der Zentralrat der Juden in Deutschland haben dagegen die Aufnahme Blumes in die SWC-Liste scharf kritisiert. Die IRGW-Vorsitzende Barbara Traub sagte im Dezember: »Wir kennen Dr. Michael Blume bereits seit fast zwei Jahrzehnten als einen außergewöhnlich engagierten und ausgesprochen kompetenten Kämpfer gegen Antisemitismus jeder Form, als einen Freund der jüdischen Gemeinschaft.« Viele andere jüdische Organisationen und Akteure aus ganz Deutschland schlossen sich ihrer Einschätzung an.
STAATSRÄSON Auch Winfried Kretschmann sieht das so. »Bisher wurden uns keinerlei seriös überprüfbarer Belege vorgelegt, die solch massive Vorwürfe gegen unseren Beauftragten und gegen unser Land rechtfertigen würden«, schrieb er in seinem Brief an Hier. Michael Blume und seine Familie würden »seit Jahren digital belästigt und verleumdet«, so Kretschmann weiter.
»Es wäre meiner Meinung nach mindestens notwendig gewesen, vor einer solchen Aufnahme in eine Liste mit unseren jüdischen Landesgemeinden ausführlich zu sprechen.« Er könne nur vermuten, dies als »Rufschädigung des Beauftragten und des Landes Baden-Württemberg aufzufassen«, betonte der 72-Jährige, der seit 2011 der Landesregierung vorsteht. Der Schutz jüdischen Lebens gehörten, betonte Kretschmann, für seine Regierung zur »Staatsräson«.
Der Name Simon Wiesenthal sei »verbunden mit dem wichtigen Anliegen und der hohen Verantwortung, in der Verteidigung der Demokratie und Menschenwürde zusammenzustehen.« Er werde das Schreiben daher auch dem Wiesenthal-Institut für Holocaust-Studien in Wien und der dortigen jüdischen Gemeinde zur Kenntnis geben, so Kretschmann in seinem auf Englisch und Deutsch verfassten Schreiben an Hier.
SOLIDARITÄT Im Januar stellte sich auch Israels Generalkonsulin für Süddeutschland, Carmela Shamir, demonstrativ an die Seite Blumes und stattet ihm in Stuttgart Ende Januar einen Besuch ab. In einem Brief an Blume, das der Jüdischen Allgemeinen ebenfalls vorliegt, schrieb Shamir Blume, sie sei »traurig und schockiert über die Tortur, der Sie und Ihre Familie seit Langem ausgesetzt sind.«
Michael Blume habe sich durch sein Engagement gegen Antisemitismus und gegen die in Zielen und Handlungen antisemitische BDS-Bewegung Verdienste erworben. Sie schätze ihn zudem persönlich sehr, dass er »hohe moralische Standards und Positionen« vertrete, schrieb Shamir weiter. Sie begrüße, dass Blume trotz »inakzeptabler Erfahrungen« in den sozialen Netzwerken den Dialog über den Kampf gegen Hass im Internet angestoßen habe.