Chile

Backlash nach Boykott

Mit israelfeindlichem Aktionismus schadet das südamerikanische Land vor allem sich selbst

von Andreas Knobloch  16.04.2024 18:26 Uhr

Chiles Präsident Gabriel Boric Foto: picture alliance / Anadolu

Mit israelfeindlichem Aktionismus schadet das südamerikanische Land vor allem sich selbst

von Andreas Knobloch  16.04.2024 18:26 Uhr

Die einen sehen Chiles Verteidigungsfähigkeit in Gefahr, andere applaudieren der Entscheidung. Jüngst gab Chiles Regierung bekannt, dass in diesem Jahr keine israelischen Unternehmen an der Internationalen Luft- und Raumfahrtmesse FIDAE teilnehmen dürfen. Die Veranstaltung, die noch bis zum 14. April in Santiago de Chile stattfindet, gilt als wichtigste ihrer Art in Lateinamerika und als eine der bedeutendsten weltweit.

Chiles Präsident Gabriel Boric nannte die Entscheidung auf einer Pressekonferenz »kohärent mit unserer internationalen Politik« und verwies auf Chiles Haltung im Gaza-Krieg. Die israelische Armee und die Regierung Benjamin Netanjahu verletzten »eklatant« die Achtung der Menschenrechte, so Boric. »Daher scheint es mir im Einklang mit unserer internationalen Politik zu stehen, auf einer Messe wie der FIDAE Unternehmen auszuschließen oder nicht einzuladen, die auf die eine oder andere Weise an dem beteiligt sind, was wir kritisieren«, sagte er. Boric verwies auf die Entscheidung der Vorgängerregierung von Sebastián Piñera, 2022 Russland nach dem Überfall auf die Ukraine auszuladen.

Boric hat die israelische Reaktion auf den Angriff vom 7. Oktober wiederholt in den sozialen Netzwerken und in seinen Reden kritisiert. Im November 2023 rief er den chilenischen Botschafter aus Tel Aviv zurück; im Januar beantragte Chile gemeinsam mit Mexiko beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag eine Untersuchung »aller Kriegsverbrechen«, die »in Israel und Palästina« begangen worden sein könnten.

Zahlreiche chilenische Gruppen begrüßten die Ausladung. Mehr als 150 zivilgesellschaftliche Organisationen und mehrere Tausend Einzelpersonen unterzeichneten eine Online-Petition an Präsident Boric, in der sie weitergehende Maßnahmen forderten. Neben dem Ausschluss von der FIDAE sollten alle Formen der Zusammenarbeit mit Israel auf chilenischem Territorium abgesagt werden. Auch sollte Chile keine Waffen, Verteidigungs- oder Sicherheitssysteme mehr von Israel kaufen.

Die jüdische Gemeinde sprach von antisemitischer Voreingenommenheit der aktuellen chilenischen Regierung.

Doch es gibt auch kritische Stimmen. In einem in der Tageszeitung »El Mercurio« veröffentlichten Brief wiesen pensionierte Angehörige der chilenischen Streitkräfte darauf hin, dass es möglicherweise »schwerwiegende strategisch-politische Auswirkungen« geben könne, da Chile im Bereich der Verteidigung und der Raumfahrtentwicklung in hohem Maße von Israel abhängig sei. Das gesamte nationale Satellitensystem sei auf israelische Unternehmen angewiesen. »Diese Entscheidung beeinträchtigt die nationale Sicherheit und die FIDAE, die sich seit ihrer Gründung auf Unternehmen aus Israel verlassen hat, einem treuen Handelspartner unseres Landes in Verteidigungsfragen«, hieß es.

Der israelische Botschafter in Chile, Gil Artzyeli, kritisierte die Entscheidung scharf. »Es ist kein Einzelfall, es ist eine Geschichte anti-israelischer Regierungspolitik«, sagte er gegenüber der Presse. Seine Regierung erwäge, den Militärattaché abzuberufen, da diese nur in Botschaften von freundschaftlich verbundenen Ländern anwesend seien. In einem Post auf X nannte Artzyeli den Schritt der Regierung Boric einen »weiteren Akt der Feindseligkeit gegenüber Israel«. Und weiter: »Die Entscheidung schadet den bilateralen Beziehungen, die seit mehr als 70 Jahren bestehen, nicht nur in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit, sondern auch in anderen wie Wasserwirtschaft, Landwirtschaft, Gesundheit, akademischer Austausch, Wissenschaft und Technologie.«

Die jüdische Gemeinde sprach von antisemitischer Voreingenommenheit der aktuellen chilenischen Regierung. Mit rund 500.000 Menschen hat das Land eine der größten palästinensischen Gemeinschaften außerhalb der arabischen Welt. Die jüdische Gemeinschaft in Chile ist dagegen mit schätzungsweise 18.000 eher klein.

Insgesamt neun israelische Unternehmen haben nach der Ausladung eine Klage gegen die chilenische Regierung wegen »willkürlicher Diskriminierung« eingereicht. Sie hatten damit aber keinen Erfolg. Die vorgetragenen Argumente ließen keinerlei Rückschluss auf die Verletzung verfassungsmäßiger Rechte zu, so das zuständige Gericht.

Gerichtsurteil

Haftstrafen für Gewalt gegen Israelis in Amsterdam

In digitalen Chat-Gruppen war der Anklage zufolge zu einer »Jagd auf Juden« aufgerufen worden

 24.12.2024

Kanada

Jüdische Mädchenschule in Toronto zum dritten Mal beschossen

Auch im vermeintlich sicheren Kanada haben die antisemitischen Angriffe extrem zugenommen - und richten sich sogar gegen Kinder

 23.12.2024

Bulgarien

Kurzer Prozess in Sofia

Der jüdische Abgeordnete Daniel Lorer wurde von seiner Partei ausgeschlossen, weil er nicht zusammen mit Rechtsextremisten stimmen wollte

von Michael Thaidigsmann  23.12.2024

Großbritannien

Gerechtigkeit und jüdische Werte

Sarah Sackman wurde als frisch gewählte Abgeordnete zur Justiz-Staatsministerin ernannt

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  23.12.2024

Spanien

Tod in den Bergen

Isak Andic, Gründer der Modekette Mango und Spross einer sefardischen Familie aus der Türkei, kam bei einem Familienausflug ums Leben

von Michael Thaidigsmann  23.12.2024

Australien

»Juden raus«-Rufe vor Parlament in Melbourne

Rechtsextremisten haben vor dem Regionalparlament in Melbourne antisemitische Parolen skandiert

 23.12.2024

Guatemala

Rund 160 Kinder vor ultraorthodoxer Sekte gerettet

Laut Behördenangaben wurden auf dem Gelände von »Lev Tahor« mutmaßliche sterbliche Überreste eines Kindes gefunden

 22.12.2024

Analyse

Putins antisemitische Fantasien

Der russische Präsident ist enttäuscht von der jüdischen Diaspora im Westen und von Israel

von Alexander Friedman  22.12.2024

Diplomatie

Israel und Irland: Das Tischtuch ist zerschnitten

Politiker beider Länder überhäufen sich mit Vorwürfen. Wie konnte es so weit kommen?

von Michael Thaidigsmann  18.12.2024