Wenn der Name Gracie Abrams auftaucht, ist der von Taylor Swift nicht weit. Die beiden Musikerinnen singen vor Millionenpublikum, komponieren zusammen Songs oder löschen auch mal einträchtig einen Küchenbrand – aus dem dann natürlich auch ein Song wird: »I can see her through the smoke« (Ich kann sie durch den Rauch sehen) heißt es lyrisch verbrämt in »Us«. »Das ganze Lied von zwei bis sechs Uhr nachts zu schreiben, war der größte Spaß meines Lebens @taylorswift: Jetzt wissen wir, wie man einen Feuerlöscher benutzt. Ich liebe dich«, verewigte Abrams Song und Löschaktion auf Instagram. Das Video wurde mehr als 2,5 Millionen Mal geteilt und gelikt.
Über die 35-jährige Swift sagt die zehn Jahre jüngere Abrams, dass sie Freundin und Mentorin zugleich sei. Sie sei selbst schon »Swiftie« gewesen, bevor die zu den erfolgreichsten Musikerinnen unserer Zeit gehörende Swift sie zu ihrer Geburtstagsparty einlud. Abrams dachte, jemand erlaube sich einen Scherz, doch dann trafen sie sich und wurden augenblicklich beste Freundinnen, so die Legende. »Jede prägende Erinnerung in meinem Leben ist mit einem Song von Taylor Swift verbunden, der mir geholfen hat, es durchzustehen«, sagte Abrams im Gespräch mit dem US-Magazin »Vanity Fair«.
Die Pop-Königin hatte Abramsʼ Talent bereits früh erkannt. Wohl deshalb die Einladung zur Party und auf die Bühne. Swift nahm die Newcomerin, deren Songs eine Mischung aus lyrischem Pop gemischt mit Folk- und Indie-Elementen sind, kurzerhand mit auf ihre gefeierte Eras-Tour. Abrams durfte mit ihren Songs über Beziehungswirren, Verlust und »Vielleicht ist es Liebe« das Publikum aufwärmen.
Für die in Los Angeles aufgewachsene junge Frau war es ein gigantischer Karrieresprung. Es sei jenseits ihrer »wildesten Träume« gewesen, so die 25-Jährige. Doch aus der Mentorin-Schülerin-Beziehung entstand bald eine musikalische Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Schließlich nahmen die beiden den gemeinsamen Song »Us« auf, der ihnen eine Grammy-Nominierung einbrachte.
Mittlerweile ist Abrams nicht mehr Support, sie hat selbst einen, wenn sie auf Tour geht – wie diesen und nächsten Monat in Deutschland und in der Schweiz. Swifts Publikum erlebt sie lediglich noch hin und wieder als Überraschungsgast.
»Ich hätte häufiger auf meine Eltern hören sollen.«
Gracie Abrams überzeugt mit einer authentischen Bühnenpräsenz und einem eigenwilligen Gitarrensound, der, wie sie selbst sagt, inspiriert sei von Künstlern wie Joni Mitchell, Simon & Garfunkel, Elvis Costello und Kate Bush. Ihre Debütsingle »Mean It« erschien im Oktober 2019. Drei Jahre später folgte »Unlearn«, die sie zusammen mit Benny Blanco aufnahm. Im Februar 2023 kam schließlich ihr erstes Album »Good Riddance« (Ungefähr: Auf Nimmerwiedersehen) auf den Markt, und sie ging auf Tournee. Nur 16 Monate später, im Juni 2024, erschien ihr zweites Studioalbum »The Secret of Us« (Unser Geheimnis), was ihr die nächste Grammy-Nominierung verschaffte, diesmal in der Königskategorie Beste/r Neue/r Künstler/in.
Ob Abrams’ relativ schneller Weg zum Ruhm nur von ihrem Talent ab- oder auch mit ihrem familiären Hintergrund zusammenhängt, wird vor allem in Onlineforen immer wieder heftig diskutiert. Kritiker nennen die Tochter eines jüdischen Vaters und einer katholischen Mutter immer wieder »Nepo-Baby«. Der Begriff – das Wort »nepo« steht für das englische »nepotism«, auf Deutsch Vetternwirtschaft – bezeichnet Menschen, die aufgrund ihrer Familie und deren Beziehungen bessere Startbedingungen ins Berufsleben haben als »Normalos«. »Nepo-Babys«, das Wort mag neumodisch klingen, es gab sie jedoch schon immer. Man denke nur an Romy Schneider, Melanie Griffith oder Jamie Lee Curtis.
Stolz auf ihr jüdisches Erbe
Abrams ist die Tochter von Hollywoodregisseur J. J. Abrams, der für Serien wie »Alias« und »Lost« und Franchise-Blockbuster wie »Star Trek« und »Star Wars« bekannt ist. Ihre Mutter Katie McGrath war politische Beraterin in Washington D.C., bevor sie mit ihrem Mann die eigene Produktionsfirma Bad Robot Productions gründete. Gracie ist das mittlere Kind und hat noch einen älteren und einen jüngeren Bruder.
Über den jüdischen Teil ihrer Familie sagt Abrams, dass sie zwar nicht sehr religiös aufgewachsen sei, jedoch »sehr stolz« auf ihre Herkunft sei. »Ich betrachte mich selbst als Jüdin und werde meine zukünftigen Kinder später auch mal an Feiertagen mit zum Gottesdienst nehmen, weil mir das sehr wichtig ist.« Als Teenager verbrachte Abrams auch einige Zeit in Israel. »Als ich ungefähr 18 Jahre alt war, hatte ich das Privileg, Teil eines Programms zu sein, das den Dialog und das Verständnis zwischen palästinensischen und israelischen Jugendlichen fördert. Im Rahmen dieses Programms war ich längere Zeit in Israel und auch im Westjordanland unterwegs.«
Der Dialog scheint Abrams bis heute sehr wichtig zu sein. Am 10. Oktober 2023, drei Tage nach dem Hamas-Angriff auf den Süden Israels und die Massaker, veröffentlichte die Sängerin eine Friedenserklärung zum israelisch-palästinensischen Konflikt auf Instagram, wo sie mittlerweile über viereinhalb Millionen Follower hat.
Taylor Swift lud sie zuerst zu ihrer Geburtstagsparty und dann auf die
Bühne ein.
Auch bei Fragen zu den Privilegien, die Kinder berühmter und einflussreicher Eltern genießen, die ihrem Nachwuchs den Weg ins Showgeschäft ebnen, scheut Abrams die Öffentlichkeit nicht. Anstatt beleidigt zu sein, lässt sie sich bei Interviews immer wieder auf das Gespräch ein und betont, wie hart sie arbeite. »Natürlich haben wir keinen Einfluss darauf, wo wir geboren werden. Es gibt sichtbare und noch mehr unsichtbare Vorteile, wenn Familienmitglieder in der Unterhaltungsbranche tätig sind«, sagte sie gegenüber US-Medien. Allerdings sei ihre Kindheit nicht besonders glamourös gewesen, betonte sie im Gespräch mit der britischen »Times«.
Obwohl sie seit ihrer Kindheit das Rampenlicht kennt, hoffe sie trotzdem, dass ihre Zuhörer sie vor allem über ihre Musik kennen und schätzen lernen. Aber, führt sie aus, manchmal bereue sie sogar, ihre Eltern nicht mehr in ihre Arbeit miteinbezogen zu haben: »Ich hätte sie häufiger um Rat fragen sollen, als ich es getan habe«, findet sie heute und zollt der elterlichen Weisheit Anerkennung. Nach dem Abitur im Jahr 2018 studierte Abrams internationale Beziehungen am Barnard College in New York, brach ihr Studium jedoch nach dem ersten Jahr wieder ab, um sich ganz auf ihre Musikkarriere zu konzentrieren.
Das eigene Tagebuch als Inspiration
Die Motivation zum Schreiben und Texten von Liedern habe sie ihrer Mutter zu verdanken, so Abrams weiter. Denn die habe sie in jungen Jahren dazu ermutigt, ein Tagebuch zu führen. Sie schreibe, seitdem sie acht Jahre alt war, verriet sie in Jimmy Fallons »Tonight Show«. Und sie nutze es bis heute. Ein Tagebuch sei ein »heiliger Raum«, dessen Entdeckung sich »sehr stärkend angefühlt« habe, sagt Abrams, die auch Prinzessin des Lo-Fi-Pop genannt wird. Und so schreibt sie über die Gefühlswelt einer jungen Frau, hochemotional, immer wieder emanzipatorisch, wenn auch liebeshungrig.
Gracie Abrams hat sich in der »Swiftie«-und Ariana-Grande-Generation längst einen Platz gesichert. So funkelt sie als eigener Stern in den Charts und Fan- und Gossip-Foren. Die Frage ist nicht, ob sie groß herauskommt, sondern wie weit sie ihr musikalisches Talent bringen wird.
Oder wie Taylor Swift sagen würde: »Youʼre on your own, kid.«