»Für Juden in Deutschland, Österreich und Griechenland dürfte Warschau demnächst wichtiger werden«, ist Pawel Spiewak überzeugt, der neue Direktor des Jüdischen Historischen Instituts in Polens Hauptstadt. »In einer der nächsten Ausstellungen wollen wir die Bestände aus der Preußischen Staatsbibliothek zeigen.« Im Krieg wurden rund 300.000 Bücher, Inkunabeln und handschriftliche Manuskripte von Goethe, Schiller und Mozart nach Niederschlesien ausgelagert.
Nach Kriegsende geriet die Sammlung nach Krakau sowie nach Warschau ins Jüdische Historische Institut, das auch als Ringelblum-Institut bekannt ist. »Viele deutsche Juden wissen wahrscheinlich gar nicht, welche Schätze wir hier haben.«
Sammlung Auch den Wiener Bestand will das Ringelblum-Institut im nächsten oder übernächsten Jahr zeigen. An eine Rückgabe der deutschen und österreichischen Judaica sei nicht gedacht. »Bisher jedenfalls nicht. Das Problem müssen die Politiker lösen«, sagt Spiewak, der neben der Leitung des Museums auch eine Soziologieprofessur innehat. »Wir haben hier auch die weltweit größte Judaica-Sammlung aus Griechenland. Die werden wir ausstellen und dann in jedem Fall zurückgeben.«
Den griechischen Juden sagten die Nazis, dass sie im Osten neu angesiedelt würden. Die Juden aus Saloniki und der Insel Rhodos nahmen also 1943 und 1944 nicht nur Kleidung und Wertsachen mit in die Deportationszüge nach Polen, sondern auch Kultgegenstände. Fast alle 46.000 griechischen Juden wurden direkt nach ihrer Ankunft in Auschwitz vergast. »Die Gedenkstätte händigte uns nach dem Krieg die griechische Judaica-Sammlung aus. Es ist an der Zeit, dass sie nach Saloniki zurückkehrt.«
Bislang fungierte das Ringelblum-Institut, in dem bereits vor dem Krieg eine judaistische Bibliothek untergebracht war, als Museum, wissenschaftliches Forschungsinstitut und jüdische Volkshochschule. Außerdem ist das Institut auch ein Zentrum für genealogische Nachforschungen. Juden aus ganz Europa suchen hier nach Spuren ihrer Verwandten.
Neuausrichtung Das Museum zur Geschichte der Juden Polens, das – nur wenige Kilometer entfernt – neben dem Mahnmal für die Helden des Ghettoaufstands von 1943 entsteht und wesentlich größer und finanziell besser ausgestattet sein wird, macht eine Neuausrichtung des Ringelblum-Instituts notwendig. Denn zwei jüdische Museen wird sich Warschau auf Dauer nicht leisten können. »Wir besinnen uns auf unsere Wurzeln«, so Spiewak.
»Kein anderes Institut auf der Welt hat eine so umfassende Sammlung, wie sie der Historiker Emanuel Ringelblum und seine Mitarbeiter während der Besatzungszeit im Warschauer Ghetto zusammengetragen haben«, sagt Spiewak. »Das sind nicht nur Tagebücher, Memoiren und Briefe, sondern auch die Untergrundpresse im Ghetto, Plakate und Berichte über Suppenküchen und Waisenhäuser oder Altersheime. Außerdem Dokumente aus anderen Ghettos. Fotos, Bilder, Alltagsgegenstände – einfach alles.«
Webseite Spiewak hofft, dass die Sammlung mithilfe von Stiftungen und Sponsoren ihren Weg in die Welt findet. Er plant nicht nur eine Großedition zum Ringelblum-Archiv, sondern auch ein Internetportal in mehreren Sprachen. »Und eine der nächsten Ausstellungen wollen wir den deutschen Juden widmen, die ins Warschauer Ghetto deportiert wurden.«