China

Aufbau Fernost

Aufbruchstimmung: die Teilnehmer des Limmud-Tages vor dem Huangya Mountain Hotel Foto: Jonathan Dworkin

Wer vor dem Huangya Mountain Villa Resort, zwei Autostunden östlich von Peking, aus dem Wagen steigt, atmet erst einmal tief ein. »Was für eine Luft«, schwärmen die meisten, die hier ankommen. Für Einwohner der 20-Millionenstadt Peking, die normalerweise unter einer Dunstglocke steckt, ist Huangya das Paradies auf Erden: Berge, Wälder – und dann diese Luft!

Den Ort direkt an der Chinesischen Mauer hatten Roberta Lipson und ihre Mitarbeiter für ein besonderes Ereignis ausgewählt: den ersten Limmud-Tag in China. Rund 100 Männer, Frauen und Kinder nahmen am vergangenen Sonntag daran teil. Die meisten waren Mitglieder von Kehillat Beijing, der jüdischen Reformgemeinde in Chinas Hauptstadt; andere kamen aus Shanghai und Hongkong. Aber auch aus Mumbai, Manila und Tokio sowie aus Israel und Großbritannien waren Teilnehmer angereist.

auswanderer »Dass sich in einer Region, in der jüdische Themen so gut wie nie auf der Tagesordnung stehen, an ein und demselben Ort gleichzeitig so viele interessierte Juden zusammenfanden – das war großartig!«, freut sich Roberta Lipson. Die Marketingexpertin aus den USA lebt seit mehr als 30 Jahren in China. Gemeinsam mit Gleichgesinnten gründete sie 1979 Kehillat Beijing. Wie Lipson sind auch die meisten anderen Gemeindemitglieder nicht in China geboren, sondern in den USA, Israel oder Westeuropa. Nach China haben sie vor allem berufliche Gründe verschlagen.

Schätzungen zufolge gibt es derzeit rund 20.000 Juden im Fernen Osten. Und obwohl etliche von ihnen innerhalb Asiens beruflich viel unterwegs sind, lebt doch bisher jede Gemeinde für sich; Beziehungen untereinander gibt es kaum. Das soll sich künftig ändern. »Wir wollen der jüdischen Bevölkerung in dieser Region helfen, sich zu vernetzen«, sagt Judit Amit, Direktorin für internationale Entwicklungsprogramme beim American Jewish Joint Distribution Committee (JDC). »Die Gründung von Limmud China ist ein großer Schritt in diese Richtung.«

Das Wort »Limmud« kommt aus dem Hebräischen und heißt »Lernen«. Einmal im Jahr setzen sich Juden unterschiedlichen Alters und aus den verschiedensten Berufen zusammen, um zu lernen – voneinander und miteinander. Die Idee stammt aus England; dort wurde sie 1980 geboren und ist seitdem ein Exportschlager.

Lernbewegung Heute steht Limmud für jüdischen Austausch, der von den meisten Strömungen als Bereicherung empfunden wird. Mittlerweile gibt es weltweit Limmud-Tage in mehr als 60 jüdischen Gemeinden in 25 Ländern. Einer der Gründer der Lernbewegung, Clive Lawton vom Europäischen Zentrum für Jüdische Führungskräfte in London, war am Sonntag zur Premiere in China dabei. Er hielt am Nachmittag den Vortrag »Warum jüdisch sein?«.

Dass zur selben Zeit drei weitere Veranstaltungen stattfanden, kritisierten einige Teilnehmer. Sie wären auch gern beim Koch- und beim Theaterworkshop dabei gewesen, oder hätten sich eine Diskussionsrunde über die Zukunft der jüdischen Gemeinden in Asien angehört. Die Organisatoren verteidigten sich mit dem Argument, den Teilnehmern diesmal nur eine Kostprobe des Lerntages zu servieren: Deshalb nannten sie das Treffen auch »Taste the Limmud«.

Die Rechnung scheint aufgegangen zu sein; etliche Teilnehmer sind offenbar auf den Geschmack des Lerntags gekommen. Wie Judy Amit im Gespräch mit dieser Zeitung sagte, spielten viele mit dem Gedanken, in Zukunft zu Limmud-Tagen in andere Länder zu reisen. »Ich hoffe, dass in nächster Zeit weitere Gemeinden im Fernen Osten eigene Limmud-Tage veranstalten werden«, so Amit.

Die JDC-Mitarbeiterin sprach am Sonntagvormittag vor 20 Teilnehmern über das Thema »Globale jüdische Verantwortung in Hinblick auf Katastrophen«. Amit erzählte von der Arbeit des JDC und betonte, dass die Organisation in zwei Jahren 100 Jahre alt werde. »Seit mehr als neun Jahrzehnten setzen wir uns weltweit für Menschen in Not ein. Juden in der ehemaligen Sowjetunion haben wir genauso geholfen wie der jüdischen Gemeinde in Argentinien nach der Wirtschaftskrise«, so Amit.

Es gehe dem JDC um das Prinzip »Tikkun Olam«, das »Reparieren der Welt«. »Wir haben die Expertise zum Helfen im großen Stil«, hob Amit hervor, »und wir freuen uns über Menschen, die uns unterstützen.« Etliche Teilnehmer hatten zuvor noch nie etwas vom JDC gehört. Einige haben Amit zu verstehen gegeben, dass sie sich gern engagieren würden.

interesse Während Amit für das JDC die Werbetrommel rührte, versammelten sich im benachbarten Raum ein paar Dutzend Teilnehmer, um Professor Xu Xin zuzuhören. Er ist Direktor des Zentrums für Jüdische Studien an der Universität Nanjing. Er erzählte den Teilnehmern, warum man sich in China so sehr für Juden interessiert: »Seit einigen Jahren haben immer mehr Chinesen Kontakt zur westlichen Welt. Um sie zu verstehen, muss man das Judentum kennenlernen, denn es ist einer der Grundpfeiler der westlichen Zivilisation«, so Xu Xin. Viele Chinesen seien beeindruckt, dass es so viele jüdische Nobelpreisträger gibt, »sie wollen von Juden lernen«.

So viel Lob schmeichelt – und fördert die Idee, sich innerjüdisch stärker zu vernetzen. Das erste Limmud-Treffen war ein guter Anfang.

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