Nach der Verabschiedung der auch international scharf kritisierten Verfassung ist Ungarns Regierung erneut in die Kritik geraten. Diesmal hat ein umstrittener Personalwechsel an der Spitze des Budapester Holocaust-Gedenkzentrums (HDKE) den anhaltenden Streit um Ungarns Rolle bei der Judenvernichtung verschärft.
In seiner ersten Sitzung entließ der erst Anfang Mai neu ernannte Stiftungsrat den Direktor des Zentrums, Laszló Harsányi, ohne offizielle Begründung. Die Demission des seit zwei Jahren amtierenden Direktors war von regierungskritischen Medien erwartet worden. Sie spekulierten schon seit Wochen darüber, dass die rechtskonservative Regierungspartei Fidesz über den öffentlich-rechtlichen Stiftungsrat Einfluss auf das Gedenkzentrum nehmen wolle.
Dort sind nebeneinander Bilder zu sehen, die sowohl den Einmarsch Ungarns in seine Nachbarländer unter dem Reichsverweser Miklós Horthy als auch Deportationen ungarischer Juden darstellen. Das missfiel dem zuständigen Staatssekretär im Ministerium für Justiz und öffentliche Verwaltung, András Levente Gál.
Es gebe keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem Einmarsch der ungarischen Truppen in die Nachbarländer und dem Transport der Juden in die Vernichtungslager, wie es die Ausstellung nahelege, so Gál in einem Interview, das im März auf einem Internetportal der Regierung erschien. Er forderte das Gedenkzentrum auf, Teile der Ausstellung »neu zu bewerten«.
zusammenhang Infolge des Bündnisses mit Nazi-Deutschland und nach den zwei Wiener Schiedssprüchen (1938/1940) marschierte Ungarn in Gebiete der Nachbarländer ein, die das Land durch den Vertrag von Trianon 1920 verloren hatte. »In diesen Gebieten lebten sehr viele Juden, die Opfer des Holocausts wurden.
Dies wäre ohne den Einmarsch der ungarischen Truppen nicht passiert«, erklärt der Historiker Krisztián Ungváry, der die Ausstellung lektoriert hat. So sei durchaus ein Zusammenhang zwischen der territorialen Rückgliederung und der Deportation in die Vernichtungslager feststellbar. Vor dem Hintergrund der Aussagen von Gál sei die Entlassung Harsányis »höchst verdächtig«, so Ungváry.
Auch der Historiker András Gero kann die Forderungen des Staatssekretärs nach einer Neubewertung der Ausstellung nicht nachvollziehen. In einem offenen Brief protestierte er dagegen gemeinsam mit 41 weiteren Intellektuellen. »Eine politische Anweisung zur Veränderung der Ausstellung kommt einer Zensur gleich.
Die Ausstellungskonzeption ist Aufgabe von Experten. Politiker dürfen keinen direkten Einfluss nehmen«, so der Professor der renommierten Central European University in Budapest. Er will nicht ausschließen, dass das Kuratorium Forderungen aus dem Ministerium nachkam, als es Harsányi entließ.
öffentlich-rechtlich Als völlig falsch bezeichnet der Stiftungsratsvorsitzende Gergely Haraszti den Vorwurf. Zwar räumt er ein, dass der Regierungswechsel im vergangenen Jahr für den Austausch der HDKE-Leitung ausschlaggebend gewesen sei, »wie bei jedem Wechsel des öffentlich-rechtlichen Stiftungsrats«.
Harsányi wurde noch unter der sozialistischen Vorgängerregierung eingesetzt. Doch Haraszti bestreitet, dass die Gedenkstätte sich von der Regierung instrumentalisieren lässt, und bezeichnet Gáls Aussagen als »sehr unglücklich«. Er deutet zudem an, dass »finanzielle Unregelmäßigkeiten« beim Holocaust-Zentrum zur Entlassung beigetragen haben.
Bis Ende September soll nun der konservative Historiker Szabolcs Szita die Gedenkstätte leiten. Der 70-Jährige, einer der renommiertesten Holocaust-Forscher des Landes, arbeitete bereits bis 2009 als wissenschaftlicher Leiter der HDKE. Er wurde beauftragt, eine neue Konzeption für die Gedenkstätte auszuarbeiten. Laut Haraszti werde es zunächst keine Änderungen an der umstrittenen Ausstellung geben. »Es gibt auch keinen Druck der Regierung«, so Haraszti.
Der Historiker Ungváry kann sich vorstellen, dass der neue Leiter eine Interpretation der Geschehnisse präsentiert, bei der die ungarische Täterschaft während der Schoa abgeschwächt wird. Szita wird den Posten kommissarisch leiten, bis im Anschluss an ein öffentliches Bewerbungsverfahren im Herbst ein Nachfolger gefunden ist. Ob die Gedenkstätte dem Druck standhält, kann erst nach Vorlage des Konzepts bewertet werden.