Abraham Weintraub hat bewegte Tage hinter sich. Vor zwei Wochen trat er von seinem Posten als brasilianischer Bildungsminister zurück. Nur wenige Tage später setzte er sich eilig in die Vereinigten Staaten ab. Dabei spielte wohl auch Besorgnis wegen Ermittlungen des Obersten Gerichtshofs gegen ihn eine Rolle.
Abreise Weintraubs hastige Abreise – manche nennen es Flucht – ist ein dramatisches Beispiel für den Zustand der Regierung von Jair Bolsonaro inmitten einer sich verschärfenden politischen Krise, zunehmender strafrechtlicher Ermittlungen und der Katastrophe im Gesundheitssektor aufgrund der Corona-Pandemie, die zum Teil auf die laxe Haltung des Präsidenten zurückzuführen ist.
In den USA hofft der frühere Investmentbanker Weintraub, einen leitenden Posten bei der Weltbank antreten zu können. Unklar ist, ob er seinen Diplomatenpass und seine Privilegien missbrauchte, um in die Vereinigten Staaten einzureisen.
Inhaber von Diplomatenpässen sind von dem am 24. Mai vom Weißen Haus verhängten Reiseverbot ausgenommen, das die Einreise von Ausländern verbietet, die kürzlich Zeit in Brasilien verbracht haben.
Spekulationen In Brasilien selbst gab es heftige Spekulationen und viel Empörung über Weintraubs Ausreise. Die Opposition sprach von Behinderung der Justiz. Und sollte er tatsächlich einen Diplomatenpass benutzt haben, stelle dies einen Machtmissbrauch dar, da er vor seiner Reise von seinem Ministerposten zurückgetreten war.
Weintraub war eines der umstrittensten Mitglieder von Bolsonaros Kabinett und zugleich einer der engsten Verbündeten des brasilianischen Präsidenten. In der zunehmend angespannten Beziehung zwischen dem Präsidenten und dem Obersten Gericht aber war er immer mehr zu einer Belastung geworden.
Im April leitete das Gericht eine Untersuchung der Vorwürfe ein, wonach Bolsonaro den Chef der Bundespolizei ersetzen wollte, um Verwandte und Freunde vor strafrechtlichen Ermittlungen zu schützen. Das Gericht ermittelt gegen Bolsonaros Söhne und andere wegen des Verdachts, online verdeckte Diffamierungs- und Desinformationskampagnen organisiert zu haben.
Spannungen Weintraub verschärfte mehrfach die Spannungen zwischen dem Präsidenten und der Justiz. Wie erst später an die Öffentlichkeit gelangte, bezeichnete er während einer Kabinettssitzung Ende April die Verfassungsrichter wütend als »Penner«, die eingesperrt werden sollten.
Am 17. Juni erließ das Gericht eine Entscheidung, die Ermittlungen gegen Weintraub wegen rassistischer Äußerungen in sozialen Netzwerken ermöglicht. Am Tag darauf veröffentlichte dieser ein Video, in dem er seinen Rücktritt von seinem Ministeramt ankündigt, das er gerade einmal 14 Monate innehatte, und Bolsonaro für die Nominierung für den Weltbank-Posten dankte.
Seine kurze Amtszeit als Bildungsminister war von zahlreichen Kontroversen geprägt. So verteidigte er das »Recht« der Schüler, ihre Lehrer im Klassenraum zu filmen, um vermeintlich »politisch indoktrinierte« Lehrer zu melden. Als Ressortchef wollte er erklärtermaßen gegen den, wie er es nannte, »Kulturmarxismus« an den brasilianischen Schulen und Universitäten vorgehen.
In einem Zeitungsinterview nannte er die Kommunisten die eigentlichen Besitzer des Landes. Sie stünden an der Spitze der Finanzorganisationen, so Weintraub im Rückgriff auf ein antisemitisches Klischee.
Bei anderer Gelegenheit verglich er die Ermittlungen des Obersten Gerichts gegen Bolsonaros Verbündete mit der Pogromnacht, wobei er den euphemistischen Begriff »Reichskristallnacht« verwendete, was von der jüdischen Gemeinde Brasiliens scharf kritisiert wurde. Weintraub selbst wuchs in einer jüdischen Familie auf. Sein Vater ist jüdisch, der Großvater überlebte die deutschen Konzentrationslager.
Weltbank Zahlreiche brasilianische Wissenschaftler, Aktivisten und Künstler unterzeichneten einen Offenen Brief, in dem sie Weintraub für den Job bei der Weltbank als ungeeignet bezeichnen. Sie weisen auf seine rassistischen Ansichten gegenüber indigenen Gemeinschaften und Chinesen hin.
Nach einem Tweet, in dem Weintraub den Akzent der Chinesen verspottet hatte, wenn sie Fremdsprachen sprechen, leitete Brasiliens Oberstes Gericht Anfang April eine Untersuchung zu den Rassismusvorwürfen gegen Weintraub ein. Rassismus steht in Brasilien unter Strafe.
»Die überstürzte Ausreise aus Brasilien zeigt, dass Weintraub Angst hatte, vom Obersten Gericht festgenommen zu werden«, sagt Lilia Schwarcz, Historikerin an der Universität von São Paulo, und eine der Unterzeichnerinnen des Offenen Briefes. »All dies hat Brasilien zu einer Art Paria gemacht.«