Die Brexit-Verhandlungen schienen gar kein Ende mehr zu nehmen, doch nun gibt es ein Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich. In den letzten Verhandlungstagen ging es vor allem um Fisch: Quoten regulieren nun weiter, was von wem in britischen Gewässern gefangen werden kann, und britische Kutter können bald mehr vom Eigenen fischen.
Der Vertrag zwischen der EU und Großbritannien, dem das britische und das europäische Parlament noch zustimmen müssen, regelt ab dem 1. Januar den Handel und vieles mehr zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU. Ein Brexit nach Regeln der Welthandelsorganisation hätte zu zahlreichen Barrieren und Zöllen geführt. All dies wird nicht geschehen, der Handel bleibt zollfrei – doch wird er erheblich schwieriger sein als bisher, da auf Unternehmen auf beiden Seiten in Zukunft deutlich mehr Formalitäten zukommen.
Referendum Sorgen machte der Brexit vielen jüdischen Briten seit dem Referendum im Jahr 2016. Das war vor allem dann der Fall, wenn sie entweder Verwandte auf dem europäischen Festland hatten oder ihre Familien von dort stammten. Doch schon im vergangenen Jahr wurden die Bürgerrechte für Personen, die sich in der EU oder in Großbritannien sesshaft gemacht hatten, als Teil des Übergangsabkommens vertraglich gesichert.
Darüber hinaus beantragten viele, die einen biografischen Hintergrund haben, der sie mit EU-Ländern verbindet, die Staatsbürgerschaft des einen oder anderen EU-Landes oder, wenn sie nach Großbritannien gezogen waren, dort das permanente Bleiberecht oder die dortige Staatsbürgerschaft.
Sorgen machte der Brexit vielen jüdischen Briten seit dem Referendum im Jahr 2016.
Viele britische Juden besitzen nun eine doppelte Staatsbürgerschaft. Gerade für Familien, deren Angehörige während des Nationalsozialismus flüchten mussten, konnte dieser Prozess sehr emotional sein. Fast alle, die es wollten, haben nun einen zweiten Pass.
Pässe Die jüdische Weisheit, dass mehr als ein Pass nützlich sein kann, geboren in der Not einer schrecklichen Vergangenheit, erweist sich nun tatsächlich als Vorteil. Während sich Briten und Britinnen ohne europäischen Pass künftig nur noch bis zu 90 Tage in der EU aufhalten dürfen, können jene, die zudem auch einen der Pässe der 27 EU-Staaten besitzen, auch künftig bedenkenlos und ohne Beschränkungen auf beiden Seiten des Ärmelkanals leben, studieren oder arbeiten.
Für jüdische Briten scheint der Brexit also kein allzu großes Thema mehr zu sein. Nicht ein einziger Beitrag darüber findet sich in den örtlichen jüdischen Medien diese Woche. Und unter den 300 Vorträgen des diesjährigen Limmud-Festivals, das wegen der Pandemie erstmals online stattfindet, behandeln das Thema lediglich zwei Referentinnen, und das auch nur am Rande. Britische Juden scheinen den Brexit innerlich abgehakt zu haben – stattdessen gibt es viele Diskussionen über Covid-19.
Als Premierminister Boris Johnson kürzlich sagte, dass das Brexit-Abkommen selbst talmudische Prüfungen bestehen könne, wandte er sich also nicht an die jüdische Gemeinschaft, sondern meinte damit eine kleine Gruppe von Brexit-Hardlinern innerhalb der konservativen Partei. Eines hatte der Premier bei seiner Wortwahl offenbar nicht im Blick: Talmudische Diskussionen nehmen kein Ende – sie gehen über Generationen weiter.