Rund 160.000 Schüler sind im größten Kanton der Schweiz, in Zürich, im obligatorischen Schulalter, also zwischen sechs und 16 Jahren alt. Rund 1000 von ihnen besuchen eine jüdische Privatschule. Fast die Hälfte davon, alles Mädchen, besucht die Jüdische Mädchenschule, eine der zahlreichen orthodoxen jüdischen Privatschulen der Stadt. Betrieben wird sie vom Jüdischen Schulverein Zürich (JSZ).
Die Schule ist seit acht Jahren im Zürcher Stadtteil Wiedikon untergebracht. Ginge es allerdings nach dem Eigentümer der Liegenschaft, die Elektrizitätswerke des Kantons Zürich (EKZ), wäre die Schule längst ausgezogen. Die EKZ hatten mit der Jüdischen Mädchenschule die Überlassung der Liegenschaft als Zwischennutzung definiert, das heißt, sie sollte zeitlich begrenzt sein.
Wohnraum Die EKZ möchten nämlich anstelle der Schule am gleichen Ort 70 Wohnungen bauen – in der größten Stadt des Landes, wo Wohnraum so begehrt ist wie kaum irgendwo in der Schweiz, eine ganz sichere Rendite.
Doch die Pläne der Elektrizitätsgesellschaft stoßen schon seit Längerem auf recht erbitterten Widerstand der Schule und auch der Politik. So forderte mehr als die Hälfte der Abgeordneten im Kantonsparlament von Zürich, die EKZ sollten auf einen Neubau verzichten und den Mietvertrag mit der Schule verlängern – eigentlich ein eindrückliches politisches Zeichen. Dies nicht zuletzt, weil die Perspektiven der Mädchenschule im Falle einer definitiven Kündigung nicht allzu gut sind.
Container Weil ein Schulhaus für die 450 Mädchen an zentraler Lage in Zürich kaum zu finden sein dürfte, müssten die verschiedenen Schulstufen wohl aufgeteilt und in Schulcontainern untergebracht werden. Da selbst dies schwierig ist, bliebe als letzte Lösung nur eine Integration der Schülerinnen in die öffentlichen Schulen der Stadt. Das ist in vielen Städten mit einer jüdischen Bevölkerung Alltag, wäre aber für die zumeist charedischen Eltern vieler Mädchen in Zürich wohl nur sehr schwer vorstellbar.
Zu stark liegen die Unterrichtsziele und -vorstellungen der beiden Schulsysteme auseinander, auch wenn die Stadt auf die jüdischen Schulfächer sicher Rücksicht nehmen würde. Kein Wunder, dass ein Mitglied des Jüdischen Schulvereins gegenüber einer Zürcher Tageszeitung schon vor einiger Zeit sagte, man hoffe in der ganzen Angelegenheit auf »göttlichen Beistand«.
Vielleicht kommt der auch; auf jeden Fall wollen zurzeit weder die EKZ noch Vertreter des Jüdischen Schulvereins öffentliche Aussagen machen, wie lange die Mädchenschule noch am aktuellen Standort bleiben kann.
Toraschule Bei einer anderen jüdischen Erziehungsinstitution der Stadt ist die Entscheidung hingegen gefallen: Die Jeschiwe Ketane (kleine Toraschule) im selben Quartier wird sich vermutlich zum Ende des jetzigen Schuljahres im nächsten Sommer auflösen oder allenfalls mit einer anderen jüdischen Privatschule fusionieren. An der Jeschiwe Ketane lernen zurzeit noch 13- bis 15-Jährige im Durchschnitt neun Stunden pro Tag. Und zwar sowohl jüdische als auch weltliche Fächer.
Hintergrund der möglichen Schließung ist eine Weisung des Zürcher Volksschulamtes: Das verlangte von vier der neun jüdischen Privatschulen eine stärkere Gewichtung der nichtjüdischen gegenüber den jüdischen Fächern. Die Schulen gingen gegen den Entscheid vor Gericht – und unterlagen.
Mit dem Resultat, dass die Leitung der Jeschiwe Ketane sich als einzige dieser Schulen weigerte, die jüdischen Fächer zugunsten der zweiten Landessprache Französisch (Englisch wird an der Schule unterrichtet) einzuschränken. Das widerspreche den Zielen der orthodoxen Institution.
In der »Neuen Zürcher Zeitung« sagt Schulleiter Josef Goldenberg, er verstehe den Entscheid der Zürcher Schulbehörden nicht, »denn die jüdisch-orthodoxe Gemeinde leistet einen Beitrag, indem sie Schüler für den Staat kostenlos ausbildet und zu rechtschaffenen Mitmenschen erzieht«. Die Zürcher Schulbehörden sehen das anders.