Amy Winehouse

Auf Amys Spuren

Seit ihrem Tod ist ein Besuch des Hauses am 30 Camden Square in London, wo Amy Winehouse in ihrer letzten Lebensphase wohnte und am 23. Juli 2011 starb, ein Muss für ihre Fans aus der ganzen Welt. Für manche sogar wichtiger als ein Besuch des Buckingham Palace. An der weißen Mauer davor zeugen Dutzende Kussabdrücke von der nicht abnehmenden Liebe der Anhänger der mit nur 27 Jahren gestorbenen Ausnahmesängerin. Am Baum auf der gegenüberliegenden Straßenseite sind Blumen und papierne Grüße befestigt, sogar ein Büstenhalter ist dabei.

»Deine Musik inspiriert mich! Mit Liebe, Nora«, steht auf einer Karte. Juliette Chelmes und ihr Freund Laurent Mazzardo bewundern gerade diese Objekte der Verehrung. Das Paar ist aus Frankreich zum Kurzurlaub nach London gekommen. Juliette erzählt, wie sie die Musik von Amy Winehouse durch ihre Mutter kennen- und lieben gelernt habe. »Ihr tragisches Leben sprach mich sofort an«, erzählt die 27-Jährige. Sie selbst habe, so wie Winehouse, ebenfalls an Depressionen gelitten, Erfahrungen mit Drogen gemacht und schwere Beziehungen hinter sich.

Eine Viertelstunde Fußweg entfernt steht inmitten des Camden Market, dort, wo Amy Winehouse einst ihre Klamotten kaufte, ihr lebensgroßes Bronzeabbild. Die berühmte Sängerin, deren tragische Lebensgeschichte durch den Film Back to Black seit dem Frühjahr Gesprächsthema geworden ist, erscheint noch zierlicher, als man sie sich vielleicht vorgestellt hat.

Mit Davidsternkette

Touristen stehen daneben und machen Selfies »mit Amy«. Ein junges, etwa 13-jähriges Mädchen berührt wiederholt den Davidstern, den auch die Skulptur um den Hals trägt. »Ich habe ihn berührt, weil es für mich etwas bedeutet, weil ich jüdisch bin«, sagt das Mädchen. Noch im Februar hatte ein absichtlich darübergeklebter »propalästinensischer« Sticker weltweit für Empörung gesorgt. Überall in Camden Town ist die Sängerin in Straßenmalereien verewigt, eine der neuesten ist unter der Zugbrücke Camdens zu finden und preist die filmische Biografie.

Im Internet lassen sich Ratschläge für Amy-Winehouse-Spaziergänge durch Camden finden, die zu den oben genannten Orten führen oder zu Pubs und Clubs, in denen die Sängerin einst anzutreffen war. Letzte Station der Gedenkspaziergänge ist natürlich ihr Grab auf einem Friedhof am Londoner Stadtrand, wo sie neben ihrer Großmutter beerdigt wurde. Gerade hat jemand frische Blumen auf das Grab gelegt, daneben liegen bemalte Steine und zahlreiche Münzen. Eine Sitzbank gegenüber dem Grabstein lädt zum Nachdenken ein.

Für Sarah Hurley ist die Geschichte von Amy Winehouse eine ganz persönliche. Die 42 Jahre alte Mutter zweier Kinder ist fast genauso alt, wie Amy Winehouse heute wäre. Einst waren sie und ihr inzwischen an Krebs verstorbener Mann – der zweite tragische Tod in Hurleys Leben – Besitzer des »Good Mixer« Pubs, in dem Winehouse sich oft ihre Zeit mit Billardspielen vertrieb und wo sie einst die Liebe ihres Lebens traf: den skandalumwitterten Blake Fielder-Civil, der ihr Ehemann, allerdings nicht ihr Anker im Leben wurde.

Bei einem Kaffee in der heute durchgentrifizierten Gegend des Camden Market plaudert Hurley in gleichen Londoner Mundart Cockney, die auch Winehouse eigen war, über die Vergangenheit. »Amy ist meine für immer verlorene Freundin. Sie war einfach großartig. Sie hatte eine wahre Lust am Leben, war lustig, zugänglich, gesellig. Es war leicht, mit ihr auszukommen. Sie war auch fürsorglich und sehr sensibel«, stürzen die Worte aus Hurley heraus.

Überall in Camden Town ist Winehouse in Wandmalereien verewigt.

Familie und Kinder seien Amy am wichtigsten gewesen. »Sie liebte Kinder! Wenn jemand mal mit einem Baby in den Pub kam, war sie sofort dabei! Es ist so verdammt schade!«, schluchzt Hurley und kämpft mit den Tränen, bevor sie weitererzählt. Davon, wie sie und ihr Mann nach unzähligen Versuchen endlich ihr erstes Kind erwarteten und sie es unbedingt Amy erzählen wollte. »Als ich wiederholt ihre Nummer wählte, schaltete das Telefon immer nur auf ihre Voicemail. Dann sah ich plötzlich die SMS eines Freundes, ob ich denn schon die Nachrichten gesehen hätte.« Amy Winehouse lebte nicht mehr.

»Sie war zerbrechlich wie ein kleiner Vogel, und ihre Haarpracht betonte das noch. Ich hatte das Gefühl, sie gegen die Paparazzi schützen zu müssen, die immer vor ihrem Haus und vor dem Pub herumstanden – dieser einschüchternde Mob!«, erinnert sich Hurley. Ihren ehemaligen Pub, bei dem oft die Jalousien heruntergelassen wurden, um Winehouse vor den neugierigen Blicken zu schützen, bezeichnet sie als »Fluchtort mit Alkohol und Billardtisch«.

Sie zeigt ein Gemälde mit ihrer verstorbenen Freundin, das sie nach deren Tod anfertigen ließ und das heute bei ihr zu Hause hänge. Die neuen Besitzer des Pubs hätten es nachmalen lassen, um es im Pub aufzuhängen. Das ärgere sie, sagt Hurley, sie hätten mit dieser Geschichte schließlich nichts zu tun.

Pilgernde Fans

Und was hält Hurley von Menschen, die zum Camden Square pilgern oder Selfies an der Statue machen? Sie verstehe das, aber es sei schade, dass man die Erinnerung an Amy oft mit Drogen verbinde. »Drogen waren damals die Norm. Viele lebten so, aber sind dem heute entwachsen und haben Familien gegründet.« Winehouse habe den Celebrity-Status nicht gewollt. »Sie wollte Blake und glücklich weiterleben. Vielleicht nicht ganz ohne Alkohol, aber ohne Drogen, und sie wollte ihre Musik machen«, sagt Hurley. Sie würde sich wünschen, dass das Gedenken Amy gerecht werde.

Empfand sie ihre Freundin auch als Jüdin? Sie selbst stamme aus einer irisch-katholischen Familie, hier im anglikanischen England. Da hätte es eine Art Verständnis zwischen ihr, der Katholikin, und Amy, der Jüdin, gegeben, etwas, das sich aus dem gemeinsamen Minderheitenstatus im Land erklärt habe, sagt Hurley. Sie erwähnt auch den Davidstern, den Winehouse trug, und dass sie zwar nicht religiös gewesen sei, aber ein jüdisches Selbstverständnis gehabt habe. »Sie war jüdisch ohne Angst, das zu sagen, aber es war kein großes Ding.«

Trotzdem hatte man für den Film Back to Black einen Berater für jüdische Belange angeheuert. Diese Aufgabe übernahm der liberale Rabbiner Danny Rich, der zur Zeit von Winehouses Beerdigung zufällig gerade auf dem jüdischen Friedhof Pflichtdienst tat und so einen der Tage der Schiwa leitete. Im Film sieht man Rich bei der Bestattungsfeier kurz, obwohl er nicht der Rabbiner gewesen sei, der damals die Zeremonie leitete.

»Ich bin mir fast sicher, dass sie keine Batmizwa hatte, sie war dazu vielleicht zu rebellisch, aber es ist klar, dass sie aus einer stark verwurzelten jüdischen Familie stammte«, sagt Rich, der Winehouses Eltern kennt und heute Rabbiner ihrer Gemeinde ist. Rich glaubt, dass die Sängerin sich wie viele junge jüdische Menschen stark mit dem Judentum identifizierte, jedoch mehr kulturell als religiös. Musik sei oft integraler Teil jüdischen Familienlebens.

Die Amy Winehouse Foundation hat bisher rund 300.000 Jugendlichen geholfen.

Jonathan Simpson, 50, ist seit Langem Gemeinderat in Camden. Kurz vor Amys Tod war er der Bürgermeister Camdens und hat die Sängerin in ihrem letzten Lebensabschnitt getroffen. Er habe damals unweit von ihr gewohnt, und sie seien sich öfter über den Weg gelaufen. Dann hätten sie sich zugewunken oder auch mal kurz freundlich umarmt. Ihre Einzigartigkeit sei offensichtlich gewesen, sagt Simpson und kommt ins Schwärmen: »Sie hatte die Fähigkeit, Menschen um den Finger zu wickeln, war lustig und unkompliziert, aber oft mit bissigen Seitenbemerkungen.«

In Camden, wo es bis heute 64 Musikkneipen gibt, sei sie in Pubs wie dem Dublin Castle, Good Mixer und Hawley Arms Teil der Community gewesen, sagt er. Neben dem Status einer globalen Ikone sehe er sie als eine kecke Nordlondoner jüdische junge Frau mit Davidstern und Tattoos.

Durch seine Gemeindearbeit hatte Simpson später mit der Stiftung, die heute den Namen von Amy Winehouse trägt und die von ihrem Vater ins Leben gerufen wurde, zu tun. Die »Amy Winehouse Foundation« unterstützt Jugendliche, deren Leben durch Drogen und Alkoholmissbrauch gefährdet ist, berichtet er.

Hilfe für 300.000 Jugendliche

Es gebe unter anderem Musikprogramme, Wohnräume zur Stabilisierung junger Frauen und eine Betreuung für junge Menschen nach dem Entzug. Neben dem musikalischen Nachlass von Winehouse seien diese 300.000 Jugendlichen, denen die Stiftung in den vergangenen Jahren geholfen hat, ein riesiges Vermächtnis der Sängerin.

Simpson zeichnet auch für die Amy-Winehouse-Statue und eine Gedenkplatte mit ihrem Namen in Camdens »Music Walk of Fame« verantwortlich. »Anders als nach ihrem Tod, als viele Menschen dafür nicht die richtigen Worte finden konnten oder wollten, ist der neue Film Back to Black ein Indiz der Anerkennung ihres phänomenalen Talents«, outet sich Simpson als Fan. S

eine persönliche Empfehlung: »Sie machte zwei einzigartige Alben, Frank und Back to Black, sowie einige EPs. Ich finde, die Menschen sollten sich bei ihrem Gedenken vor allem daran orientieren. Amy Winehouse war eine Jazz-Connaisseurin auf dem Niveau von Sarah Vaughan, Tony Bennett und Ella Fitzgerald!«

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