Eine Schicht klein gehackte Äpfel, dann gedämpfter Mohn und oben eine süße Walnussfüllung. Dazwischen ein dünner, zarter Teig, fast nur ein Film. Als Ráchel Raj das große Blech aus dem Backofen holt, füllt sich der Raum mit dem Duft der Feiertage. Einige Minuten später schneidet sie den Blechkuchen großzügig in rechteckige Stücke.
»Das ist Flódni, das Lieblingsgebäck der ungarischen Juden – und mittlerweile auch vieler anderer«, erklärt die Frau stolz. Die ausgebildete Modedesignerin hat vor zehn Jahren das Café Noé, ihre erste Konditorei, eröffnet und damit an eine alte Familientradition angeknüpft.
Vor der Eingangstür in der Wesselényi-Straße wirbt eine Tafel für Ráchels Flódni. In unmittelbarer Nähe liegen die große Synagoge und das jüdische Museum, in den benachbarten Gassen gibt es immer wieder neue Kneipen und Biergärten. Das kleine Café Noé zählt kaum zehn Tische auf zwei Etagen. Die Holztreppe hoch und runter läuft täglich unzählige Male Miklós Maloschik, Ráchel Ehemann, der gleichzeitig Verkäufer, Kellner und Geschäftsführer ist.
»Das Flódni war ursprünglich vor allem eine Purim-Spezialität«, erzählt Maloschik und setzt sich an einen Tisch. »Doch Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dieser Kuchen unter allen Budapestern zu einem Ganzjahresschlager.« Nach dem Krieg sei er ein wenig in Vergessenheit geraten.
»Erst nach der Wende hatten wir die Chance, die Tradition wiederzubeleben. Heute kaufen viele Ungarn zu Weihnachten Flódni neben ihrem traditionellen Bejgli-Kuchen«, sagt Maloschik und lacht.
Geheimtipp Ráchels Flódni wurde innerhalb kurzer Zeit zum Geheimtipp und machte Anwohnern und Besuchern Appetit auf die Wiederentdeckung dieser Geschmackskultur. »Das Backen und Kochen hat mir meine Mutter beigebracht«, sagt Ráchel.
»Die traditionellen Spezialitäten bereite ich heute noch ganz nach dem ursprünglichen Rezept zu. So gehört zu meinem Flódni auch ein bisschen Pflaumenmus, weil es in unserer Familie immer so war«, erklärt die junge Unternehmerin.
»Pflaumenmus hat im Flódni nichts zu suchen, wenn man nach dem guten alten Rezept arbeitet«, kontert Éva Zádor mit einem freundlichen Lächeln, aber in entschiedenem Ton. Die ältere Frau steht hinter der Glastheke der Konditorei Fröhlich.
Vor ihr liegen auf silbernen Platten die »Fladen« in goldbraunen Nuancen. »Nur Äpfel, Mohn und Walnuss«, erklärt Zádor leicht pedantisch, als sie die süßen Stücke auf Kuchenteller verteilt. Links und rechts wird das Flódni von kleinen Marzipanfiguren bewacht: Juden in zeremonieller Schabbat-Kleidung, die brav auf die Kunden warten.
Die heutige Inhaberin der Konditorei ist Zádors Cousine, Erika Fröhlich. Vor knapp 60 Jahren eröffnete deren Vater, György Fröhlich, den Familienladen in der Dob-Straße unweit von dem Ort, wo jetzt das Café Noé steht.
Mitten im jüdischen Viertel wollte er kurz nach Ende des Krieges die kleine Gemeinde, die den Holocaust überlebt hatte, mit traditionellen Spezialitäten versorgen. »Wir sind die älteste Koscher-Konditorei in Ungarn«, erzählt Zádor. »Heute erleben wir ein neues Interesse für unsere Traditionen«, berichtet sie stolz. Dann lächelt sie wieder: »Selbstverständlich backen wir das beste Flódni in der ganzen Stadt!«