Belgien

Antwerpen oder Alija?

Zum Schutz jüdischer Einrichtungen abkommandiert: Soldat vor einer Schule in Antwerpen (Januar 2015) Foto: Reuters

Vergangene Woche hat in Brüssel eine Alija-Messe stattgefunden, bei der sich rund 1000 Besucher über die Auswanderung nach Israel informierten. Es war das erste Mal, dass die Jewish Agency eine solche Veranstaltung in Belgien organisierte.

In Frankreich hat es schon mehrere solcher Messen gegeben. Dass das Interesse an der Alija jetzt auch in Belgien steigt, lässt aufhorchen. Die Zahl von 1000 Besuchern mag auf den ersten Blick gering erscheinen, doch sie ist bei nur rund 30.000 Juden, die in Belgien leben, beachtlich hoch. Sie sagt aus, dass jeder Dreißigste von ihnen Interesse hat, oder etwa jede achte Familie sich für eine Auswanderung interessiert – zumindest so stark, dass man sich am Wochenende Zeit für eine Informationsveranstaltung nahm.

Auswanderung Nach Angaben der Jewish Agency nimmt die Auswanderung von Juden aus Belgien seit Jahren zu. Waren es in den 90er-Jahren noch etwa 100 Menschen, die pro Jahr nach Israel übersiedelten, stieg die Zahl um die Jahrtausendwende auf 150. Inzwischen sollen es jedes Jahr rund 250 belgische Juden sein, die Alija machen.

Manche sind besorgt über diesen Trend. Doch der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde von Brüssel, Philippe Markiewicz, winkt ab: »Das ist weniger als ein Prozent Wegzug im Jahr.« Wenn es sich in dieser Größenordnung fortsetzt, würde die Geschichte der jüdischen Gemeinde Belgiens, die älter ist als die des belgischen Staates, auch in 100 Jahren noch weitergehen.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, wenn Markiewicz sagt: »Wir sind als Juden Belgier und gehören hierher. Die Probleme dieses Landes sind unsere Probleme, und wir müssen an ihrer Lösung mitwirken. Auswandern ist keine Alternative.«

Dieser Meinung ist auch das politische Belgien. Ministerpräsident Charles Michel hat angesichts der unverhohlenen Alija-Aufrufe von Israels Premier Benjamin Netanjahu erklärt, man werde alles Erforderliche für die Sicherheit der jüdischen Gemeinde tun: »Belgien ohne Juden wäre nicht mehr Belgien. Europa ohne Juden wäre nicht mehr Europa.« Um dieser Aussage Nachdruck zu verleihen, sind inzwischen Soldaten zur Bewachung jüdischer Einrichtungen im Einsatz.

Prognosen Dennoch sagte ein älteres Paar bei der Alija-Börse in Brüssel in eine Fernsehkamera: »Wir dürfen nicht zu lange zögern. 1939 darf sich nicht wiederholen.« Und eine Besucherin fügte hinzu: »Erst standen vor den Schulen nur Wachen. Jetzt haben wir die Armee. Wohin soll das alles führen?« Betty Dan, Vorsitzende der Zionistischen Organisation Belgiens und Mitorganisatorin der Alija-Börse, erklärt, dass heute nicht mehr so sehr der »christliche Antisemitismus« Angst macht, sondern eher der importierte, der mit den arabischstämmigen Einwanderern gekommen sei.

Nach einer Studie des Pew Research Center machen Muslime gerade einmal sechs Prozent der belgischen Bevölkerung aus. Damit liegt Belgien etwa gleichauf mit Deutschland (fünf Prozent). Aber in Brüssel ist bereits ein Drittel der Bevölkerung muslimisch, und Prognosen sprechen davon, dass Europas Hauptstadt in gut 20 Jahren mehrheitlich von Muslimen bevölkert sein könnte. Der Name Mohammed ist heute der meist vergebene Jungenname für Neugeborene in Brüssel.

Die liberale belgische Einbürgerungspolitik der letzten Jahre eilt der Integration der vielen Neubürger in die Gesellschaft weit voraus. Es heißt, auf die Bevölkerungszahl bezogen, habe Belgien eine bedeutendere Islamistenszene als Frankreich.

Anschläge Vor allem die Ereignisse des vergangenen Jahres haben viele Menschen beunruhigt. Ende Mai das Attentat mit vier Toten im Jüdischen Museum von Brüssel, im September der Brandanschlag auf eine Brüsseler Synagoge und schließlich vor zwei Monaten der landesweite Einsatz der Polizei gegen Islamisten. Den Sicherheitsbehörden lagen konkrete Hinweise auf bevorstehende Gewalttaten vor, die durch den Einsatz verhindert wurden. »Dennoch ist es ein unheimliches Gefühl, die Zielscheibe gewesen zu sein«, sagt Julien Klener, Präsident der belgisch-jüdischen Dachorganisation CCIB.

Seit ein paar Jahren gebe es einen neuen Trend, fügt Klener hinzu: Im Alltag werde jüdischen Schülern zunehmend das Leben schwer gemacht. Um sie vor Antisemitismus auf dem Pausenhof zu schützen, melden immer mehr Eltern ihre Kinder an jüdischen Schulen an.

Und dennoch: Belgien ist auch das Land, wo gerade in diesen Wochen Repräsentanten verschiedener Kirchen gemeinsam mit Vertretern des Judentums und des Islam sowie mit Unterstützung einer Reihe von gesellschaftlichen Organisationen für den 15. März zu einer Großkundgebung gegen Terror und Angst aufgerufen haben.

kippatest
Manchen macht Mut, dass kürzlich ein Mann in Brüssel den sogenannten Kippatest gemacht hat und als Jude erkennbar durch die Stadt gelaufen ist. Er hat keine Anfeindungen erlebt, ist aber einem Passanten begegnet, der ihm sagte: »Tragen Sie das Käppchen mit erhobenem Haupt. Das ist heutzutage wichtig!«

Und noch etwas lässt manche Gemeindemitglieder, trotz aller Bedenken, hoffen: In der Stadt Arlon veranstaltete die muslimische Gemeinde eine Spendensammlung für die baufällige örtliche Synagoge. »Als wir vor zehn Jahren einen Raum für ein Bethaus suchten, haben uns unsere jüdischen und christlichen Brüder unterstützt. Jetzt hat die jüdische Gemeinde unsere Hilfe nötig«, begründete der Initiator die Aktion. »Es werden 400.000 Euro gebraucht. Unsere Sammlung wird nur einige Hundert Euro erbringen. Aber die Summe zählt nicht so sehr wie das Symbol für ein friedliches Zusammenleben.«

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