Seit dem 7. Oktober 2023 rollt eine Welle antisemitischer Vorfälle durch die Schweiz. Trauriger Höhepunkt war die Messerattacke auf einen orthodoxen Juden in Zürich. Auch rund um die Bundeshauptstadt Bern ist es mit der Beschaulichkeit vorüber. Auf dem gesamten Kantonsgebiet registrierte die Meldestelle für antisemitische Vorfälle des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) knapp ein Dutzend Fälle, von Schmierereien bis zu Drohbriefen.
Eine Beruhigung der Lage ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, Bern scheint ein Antisemitismus-Problem in Schulen zu haben. Jüdische und nichtjüdische Familien trugen Beispiele zusammen, und die Liste reicht von verbalen Angriffen über Mobbing bis hin zu Lehrpersonen, die ihre Schüler darüber abstimmen ließen, ob sie »für Israel oder Palästina« seien. Die Eltern wandten sich an die kantonale Bildungsdirektorin Christine Häsler und an die städtische Bildungsdirektorin Franziska Teuscher.
Eine der Initiatorinnen des Briefes ist die ehemalige Berner SP-Stadträtin Lea Kusano. »Die antisemitischen Übergriffe finden nicht erst seit dem 7. Oktober statt. Aber nun ist der Moment gekommen, wo wir Antisemitismus nicht mehr einfach hinnehmen wollen, auch, weil viele wirklich Angst haben und unter ständigem Stress leben«, sagt die besorgte Mutter. Das Vertrauen in die (Schul-)Behörden sei verloren.
Der Streit und die Debatte um ein Antirassismus-Projekt
Zusätzlich angeheizt wird der Streit von der Debatte um ein Antirassismus-Projekt. Im Februar berichteten Lokalmedien über »Stop Hate Speech«-Kurse der Macherinnen der sogenannten Baba Academy. Dann machte die Gratiszeitung »20 Minuten« publik, dass »Baba News« auf seinen Social-Media-Kanälen einen Rapsong mit klar antisemitischen Inhalten teile. Schon da wandten sich jüdische Eltern an die städtische Bildungsdirektorin.
»Diese Direktion begreift den Ernst der Lage nicht«
Hannah Einhaus
Die Medien erfuhren durch Hannah Einhaus davon. Die Publizistin und Herausgeberin der Zeitung der jüdischen Gemeinde in Bern ist über die Haltung der grünen Schuldirektorin empört. »Antisemitismus wird an Schulen schlicht nicht erkannt. Selbst nach diversen Vorstößen begreift diese Direktion den Ernst der Lage nicht.«
Das sei untragbar. Einhaus fordert eine klare Position und kritisiert die rotgrünen Regierungsparteien: »Wenn es um Israel geht, werden die antisemitischen Stacheln gern mal ausgefahren, und man fühlt sich auch noch gut dabei.«
Die Stadtbehörden haben geantwortet, das Schreiben liegt der »Jüdischen Allgemeinen« vor. Zwar teile man die Besorgnis über die »Zunahme von Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus«, heißt es, doch die Kritik an den »Stop Hate Speech«-Kursen weist die Stadt von sich. Die Macherinnen von Baba News seien als »fachkompetente Kursanbieterinnen« anerkannt. »Insbesondere im Hinblick auf Antisemitismus« sei »keine Kritik an den Workshop-Inhalten bekannt.«
»Außerordentliche Intervention«
Zudem habe man sich seit dem 7. Oktober wiederholt bei den Schulen nach »antisemitischen oder antimuslimischen Vorkommnissen« erkundigt. Es lägen keine Meldungen vor, die »eine außerordentliche Intervention« erfordert hätten. Nachdem eine weitere Zunahme antisemitischer Vorfälle an Schulen gemeldet wurde, ruft auch die Politik nach Maßnahmen.
Stadtratsmitglieder von rechts bis links dringen auf eine Anlaufstelle für Betroffene. Insgesamt wurden im Stadtrat drei Vorstöße eingereicht, die unter anderem eine Antisemitismusbeauftragte fordern. »Dem sich zuspitzenden Antisemitismus gilt auf jeden Fall ein besonderes Augenmerk«, so die Direktion.
Auch die Jüdische Gemeinde sucht das Gespräch. Bei einem Treffen mit der städtischen Bildungsdirektorin verwies die Co-Präsidentin der Jüdischen Gemeinde Bern, Dalia Schipper, unter anderem auf das Präventions- und Dialogprojekt Likrat. »Dialog ist immer und überall wichtig. Gerade weil das Thema Antisemitismus in den letzten Jahren nicht mehr intensiv bearbeitet worden ist.« Die aktuelle Situation zeige, dass die Finanzierung von Maßnahmen für die Sicherheit in keiner Weise ausreiche, solange Antisemitismus noch so tief in der Gesellschaft verankert ist.