Die Antworten fielen recht unterschiedlich aus, als Studierende der Universität für Angewandte Kunst in Wien vergangenes Jahr Passanten zu dem Denkmal des legendären Wiener Bürgermeisters Karl Lueger befragten. »So ein Antisemit! Ich kenn’ die ganzen Geschichten. Ihr könnt das umändern, mir macht das nichts aus«, sagt einer. »Es geht um einen Bürgermeister, der sehr viel für die Stadt getan hat«, meint ein anderer Passant patzig. »Warum umgestalten? Was passt nicht? Zu seiner Zeit hat’s gepasst. Warum woll’ ma des dann übersetzen in unsere Zeit?«, fragt ein älterer Herr.
Propaganda Der Arbeitskreis zur »Umgestaltung des Lueger-Denkmals« möchte nun einen breiteren Diskurs über den Umgang mit der problematischen historischen Rolle Luegers in Gang setzen. Deshalb hat er einen Wettbewerb zur Umwandlung des derzeitigen Denkmals in ein künftiges Mahnmal ausgeschrieben. Lueger war von 1897 bis 1910 Wiener Bürgermeister. Er bediente sich massiver antisemitischer Propaganda. Dennoch sind bis heute ein Teil der Ringstraße, ein Platz sowie eine Kirche nach ihm benannt. Und es gibt dieses Denkmal.
»Die Wahlkämpfe in Österreich zeigen, wie sehr Antisemitismus von Parteien und sozialen Gruppen politisch instrumentalisiert wird«, sagt der Initiator des Arbeitskreises, Martin Krenn. Er ist selbst Künstler, steht der Vereinigung IG Bildende Kunst vor und lehrt an der »Angewandten«, wie die Wiener ihre Kunstuniversität nennen. »Antisemitische Aussagen von Politikern werden toleriert und durch Wählerstimmen bestätigt. Antisemitische Agitation ist meist Teil einer umfassenden Rhetorik, die durch Stammtischargumente zu punkten versucht.«
volksnähe Karl Lueger war ein Politiker neuen Typs: Er gab sich volksnah, passte seine Sprache dem jeweiligen Publikum an, versuchte die Stimmung im Volk zu erspüren. Das gelang ihm, indem er bewusst mit stereotypen Feindbildern spielte und antisemitische Vorurteile bediente. Als er mit seiner 1893 gegründeten Christlichsozialen Partei 1895 die Gemeinderatswahlen gewann, verweigerte ihm der damalige Kaiser Franz Joseph seine Zustimmung. Er sah die Gleichberechtigung aller Bürger aufgrund Luegers ausgeprägtem Antisemitismus nicht gewährleistet. Die Wahl wurde vier Mal wiederholt. Am Ergebnis änderte sich wenig. 1897 gab der Monarch schließlich seinen Segen.
Lueger verwirklichte in den kommenden 13 Jahren viele wichtige Großprojekte, die bis heute Bestand haben: den Bau der zweiten Wiener Hochquellenwasserleitung, die Kommunalisierung der Gas- und Elektrizitätsversorgung sowie der Straßenbahnen und den Bau des Psychiatrischen Krankenhauses am Steinhof. Sein ständig wiederholter Grundsatz lautete: »Wien ist deutsch und muss deutsch bleiben.« Bis heute legendär ist sein Ausspruch: »Wer a Jud ist, bestimm i.« Denn als Ärzte oder Berater wandte er sich durchaus auch an Juden.
Adolf Hitler sollte Lueger später als den »gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten« bezeichnen. Daher betont Martin Krenn heute: »Die Geschichte lehrt, wie wichtig es ist, sich gegen alle Formen von Antisemitismus zu wenden. Umso schwerer wiegt es, dass nach wie vor in Wien ein Denkmal mit einer Statue von einem Politiker steht, der schon vor über 100 Jahren Antisemitismus als politische Strategie nutzte, um in dieser Stadt die Macht zu erlangen.« Das Denkmal für den Altbürgermeister dürfe nicht mehr länger verklären, sondern es solle zu einem Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus umgestaltet werden.
Ein Open Call ruft nun alle interessierten Kunstschaffenden auf, bis zum 1. März ihre Ideen für eine solche Umgestaltung des Denkmals einzureichen. In der Jury sitzt unter anderen auch die Historikerin Eva Blimlinger. Sie betont schon im Vorfeld der Entscheidung: »Es kann nicht nur eine künstlerische Lösung sein.« Gesucht werde nach einem Konzept, das den Passanten durch einen Zusatz zum Denkmal irritiere, gleichzeitig dieses aber durch die Umgestaltung nicht massiv aufwerte. Eine Gratwanderung.
Sie findet es schwierig, die Grenze zu ziehen, wann man ein Denkmal schlichtweg entfernt – wie etwa Hitler-Büsten – und wann man etwas stehen lässt und kommentiert. »Schließlich wird diese Grenze aber immer gesellschaftlich definiert werden«, so Blimlinger. Die Studierenden der Angewandten und der neu gegründete Arbeitskreis haben nun mit der Diskursarbeit begonnen. Alle eingereichten Entwürfe sollen der Öffentlichkeit in einer Ausstellung und einer Publikation präsentiert werden.
politischer Druck »Wir wollen zeigen, wie mit Kunst gesellschaftspolitische Prozesse in Gang gesetzt werden können«, sagt Martin Krenn. Das Projekt solle politisch Druck auf die Verantwortlichen der Stadt ausüben, damit es zu einer Umgestaltung des Lueger-Denkmals kommt und ein anderer Umgang mit der österreichischen Geschichte des Antisemitismus und Rassismus gefunden wird. Einen öffentlichen Auftrag oder ein Budget zur Umsetzung der Denkmal-Umgestaltung gibt es nicht. Allerdings fällt die Bekanntgabe der Jury-Entscheidung im April in die Hochphase des Wiener Wahlkampfes – im Oktober wird der Gemeinderat neu gewählt. Mit einer Dotierung des Projekts durch die amtierenden Sozialdemokraten ist daher zu rechnen.
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