Für Ricardo Udler sind die »Grenzen des Erträglichen« erreicht. Der Vorsitzende des Círculo Israelita, der jüdischen Dachorganisation Boliviens, ist besorgt über die vielen antisemitischen Straftaten in dem Andenland. Trauriger Höhepunkt war ein Sprengstoffanschlag auf den jüdischen Friedhof in der Stadt Cochabamba Mitte September.
Angriffe Udler fordert die Regierung in La Paz auf, die Bedrohung der Juden endlich ernst zu nehmen und entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Gemeindemitglieder würden beleidigt und diffamiert, jüdische Einrichtungen seien Zielscheibe von Angriffen, bei denen antiisraelische und antijüdische Parolen hinterlassen würden – und das seit Jahren, so Udler: »Die Regierung steht in der Pflicht, uns vor den Angriffen zu schützen.«
Doch das Gegenteil scheint der Fall. Die rund 400 Juden im Land fühlen sich mehr und mehr angegriffen und diskriminiert, auch von staatlicher Seite. Besonders erzürnt Udler, dass kürzlich im Nationalkongress, dem bolivianischen Parlament, die palästinensische Fahne gehisst wurde. Und die Äußerungen von Parlamentssprecher Marcelo Elio Chávez, der während einer Plenarsitzung Israel nicht nur als terroristischen Staat bezeichnete, sondern auch sagte: »Ich bedauere sehr, dass das jüdische Volk, das im Zweiten Weltkrieg massakriert wurde, die Lektion nicht gelernt und sich dem amerikanischen Imperialismus angeschlossen hat.«
Gaza-Krieg Bereits 2009 hat Bolivien die diplomatischen Beziehungen zu Israel abgebrochen. Als Reaktion auf den jüngsten Gaza-Krieg kassierte die Regierung von Evo Morales die Visafreiheit für israelische Touristen. So können Israelis seit Anfang September nur noch mit einem zuvor beantragten Sichtvermerk nach Bolivien einreisen. Da der Andenstaat jedoch sein diplomatisches Personal aus Israel abgezogen hat, ist die Visabeantragung nur noch in Drittstaaten möglich.
Nach Udlers Angaben reisen jährlich etwa 8000 Israelis nach Bolivien. Wie ein führender Politiker kürzlich im Parlament in La Paz bekundete, könne das Land auf israelische Touristen verzichten. Sie seien nicht nur geizig, sondern würden sogar ihr eigenes Essen mitbringen.
Schmierereien Wiederholt hat die jüdische Gemeinde das Gespräch mit der Regierung gesucht – bisher vergeblich. Den verbalen Attacken aus Parlament und Regierungskreisen folgen häufig Anschläge und antisemitische Schmierereien an Gemeindeeinrichtungen in den Städten La Paz und Cochabamba. Die Gemeinde in Santa Cruz – sie ist mit 180 Mitgliedern die zweitgrößte im Land – ist von Angriffen bisher weitestgehend verschont geblieben, weil es dort kein jüdisches Zentrum und keine Synagoge gibt.
Scharf hat auf den letzten antijüdischen Angriff in Cochabamba auch der American Jewish Congress (AJC) reagiert: Staatspräsident Evo Morales trage die Verantwortung dafür, denn seine »Feindseligkeit gegen Israel hat zu regelmäßigen Attacken in den Medien des Landes gegen die jüdische Bevölkerung und zu gewalttätigen Anschlägen gegen jüdische Institutionen ermutigt«, sagte Dina Siegel Vann, AJC-Direktorin für lateinamerikanische Angelegenheiten. Die Regierung müsse das antijüdische Klima entschieden bekämpfen. Auch der Jüdische Weltkongress beobachtet die Entwicklung in Bolivien mit Sorge.
Die jüdische Dachorganisation des Landes will nun mit öffentlichen Aktionen auf die antisemitischen Tendenzen aufmerksam machen. Gleichzeitig, so kündigte Verbandschef Udler an, werde man juristisch vorgehen, um die Regierung zu zwingen, für die Sicherheit jüdischer Einrichtungen zu sorgen.