Eine unheimliche Anhäufung von Angriffen auf Juden erschüttert seit einigen Wochen den New Yorker Stadtteil Brooklyn, die Welthauptstadt des orthodoxen Judentums. Lange Zeit waren solche Attacken in Crown Heights, Midwood oder in anderen Vierteln Brooklyns völlig undenkbar.
Doch die Zeiten haben sich geändert – was viele New Yorker und liberale Amerikaner mit der apologetischen Politik Donald Trumps gegenüber Rassisten der White-Supremacists-Bewegung in Verbindung bringen. Doch wie so oft sind die Dinge komplexer.
Aufregung Drei Attacken in einer Woche versetzen New York in helle Aufregung. Am 31. August, nach Ausgang des Schabbats, wurde ein orthodoxer 45-Jähriger außerhalb einer Synagoge in Midwood angegriffen. Nach Angaben des Fernsehsenders CBS 2 New York war er auf zwei Männer gestoßen, die vor der Synagoge tranken. Nach einem kurzen Wortgefecht wurde das Opfer von den beiden Tätern zu Boden geschubst und mit der Metallschnalle seines eigenen Gürtels mehrfach ins Gesicht und auf den Kopf geschlagen.
Die Polizei ließ zunächst verlauten, es sei zu früh, von einem Hassverbrechen zu sprechen. Doch Dov Hikind, früherer Abgeordneter Brooklyns beim Staat New York und immer noch aktiver Kämpfer gegen Antisemitismus, nannte die Tat beim Namen: »Ein Jude wurde ›fucking Jew‹ genannt und mit einer Gürtelschnalle auf den Kopf geschlagen.«
In scharfer Form forderte Hikind Bürgermeister Bill de Blasio auf, etwas dagegen zu tun: »Muss sich erst die Geschichte wiederholen, bevor Sie etwas unternehmen? Müssen wir erst sterben?«
Der indirekte Vergleich mit der Schoa mag nicht nur aus deutscher Sicht übertrieben sein, doch er erklärt, wie sehr New Yorks Juden unter Schock stehen. Der Riesenbezirk Brooklyn mit seinen vielen jüdischen Vierteln galt bisher als absolut sicheres Refugium. Mit jeder Nachricht von einem neuen Übergriff scheint das Unaussprechliche aus der scheinbar fernen Gojim-Welt jenseits Brooklyns näherzurücken.
Zwei Tage zuvor war in Crown Heights, dem Sitz der Chabad-Bewegung, ein Stein auf einen orthodoxen Fahrer eines Lieferwagens geworfen worden. Der Stein durchschlug ein Seitenfenster und traf den Mann am Kopf. Er erlitt eine Augenverletzung und Schnittwunden.
Ein Rabbiner und ein afroamerikanischer Lokalpolitiker bemühen sich um Deeskalation.
Zwei weitere Tage zuvor, am 27. August, war in unmittelbarer Nachbarschaft der 63-jährige Rabbiner Abraham Gopin von einem bislang unbekannten Täter mit einem schweren Pflasterstein ins Gesicht geschlagen worden. Der Rabbi kam mit gebrochener Nase und zwei ausgeschlagenen Zähnen davon – angesichts der Tatwaffe hatte der Mann sogar noch Glück. Der Täter, nach Gopins Beschreibung ein Schwarzer mit Dreadlocks, habe ihn als dreckigen Juden beschimpft. Gopin sagte laut dem Fernsehsender ABC: »Der Typ wollte mich umbringen.«
»Hate Crime« Bereits im Januar und Februar hatten insgesamt 55 Attacken die Juden in New York alarmiert. Ob Menschen beschimpft wurden, weil sie als Juden zu erkennen waren, verprügelt, zu Boden gestoßen oder durch die Straßen ihrer Nachbarschaft gehetzt wurden, spielt bei der Betrachtung der Übergriffe keine Rolle. Es ist die massive Zunahme, die die Menschen beunruhigt. Bis Anfang September zählte man in New York 150 Angriffe auf Juden, die als »Hate Crime« eingestuft wurden – mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr.
Die (jüdischen) Bürger Brooklyns verlangen jetzt eine höhere Polizeipräsenz – und mehr Streifen uniformierter Beamter. »Die Officers auf den Straßen dienen der Prävention«, sagte der Stadtverordnete Chaim Deutsch dem Sender CBS 2. Deutsch kündigte weiterhin an, sein neues »Büro zur Prävention von Hassverbrechen« würde jetzt sofort öffnen – früher als geplant. »Wir werden diese Herausforderung als New Yorker annehmen«, sagte Deutsch, »mithilfe von Opfern, die ihre Erlebnisse öffentlich machen.«
Auch die Anti-Defamation League (ADL) meldete sich zu Wort. »Die anhaltende Gewalt und der Hass in unserer Gemeinschaft gegen Menschen, die erkennbar fromme Juden sind, muss aufhören – und zwar sofort!«, sagte ADL-Regionaldirektor Evan Bernstein.
Trump Einer, der mehr ans Handeln glaubt als an Worte, ist der beste Kronzeuge für die Annahme, dass die Übergriffe gegen Juden nichts mit »normalen« amerikanischen Nazis und Donald Trump zu tun haben: Rabbi Eli Cohen. Der Executive Director des Crown Heights Jewish Community Council zieht seit den Attacken im Februar durch staatliche Schulen – zusammen mit Geoffrey Davis, einem Vertreter der afroamerikanischen Gemeinschaft –, um die Ursachen der Angriffe zu ergründen. Denn die Täter, die Anfang des Jahres nach antisemitischen Attacken gefasst wurden, waren – so die des Rassismus gänzlich unverdächtige New York Times – großenteils schwarze Jugendliche.
Davis, demokratischer Lokalpolitiker in Brooklyn, sagt: »Man muss nicht weit zurückschauen, um zu begreifen, was passieren kann, wenn Spannungen zwischen Schwarzen und Juden in unserer Gemeinschaft nicht angesprochen werden.« 1991 war es in Crown Heights drei Tage lang zu extremen Ausschreitungen gekommen, nachdem ein Wagen aus der Eskorte des Lubawitscher Rebben zwei kleine Kinder guyanischer Immigranten überfuhr und eines von ihnen tödlich verletzte. Infolge des Unfalls wurde ein Jeschiwaschüler von einem schwarzen Angreifer erstochen.
»Wir sind in einer Notfallsituation«, sagt Davis. »Wir müssen diese Konflikte jetzt ansprechen, bevor sie die nächste Stufe erreichen.«
Prävention Seit Jahrzehnten haben sich die Viertel, in denen Kariben und Orthodoxe Tür an Tür wohnen, um eine Stärkung ihrer Gemeinschaft bemüht. Mit mehr Interaktion zwischen den Kindern so unterschiedlicher Herkunft und Pädagogikprogrammen des Jüdischen Kindermuseums soll schon früh die dringend notwendige Prävention betrieben werden.
Deren Erfolg wäre nicht nur ein wichtiger Meilenstein für die direkt Betroffenen. Es wäre auch ein Signal der Hoffnung für New York, für die USA – und für das gesamte Judentum.
Rabbi Cohen jedenfalls bemüht sich deutlich um Deeskalation: »Manche bei uns haben derzeit Bedenken, ihre Rechner zu öffnen und von einem erneuten Zwischenfall zu lesen. Doch insgesamt glaube ich nicht, dass wir bereits einen Punkt erreicht haben, an dem die Menschen sich auf der Straße nicht mehr sicher fühlen.«