Ungarn

Anerkennung für EMIH

Ungarns Vize-Premier Zsolt Semjén (2.v.l.) mit dem Budapester Chabad-Rabbiner Slomó Köves (r.) nach der Anerkennungszeremonie Foto: dpa

Bei einer offiziellen Zeremonie im Budapester Karmelitenkloster, dem neuen Sitz der ungarischen Regierung, lobte der stellvertretende Premierminister Zsolt Semjén kürzlich den orthodoxen Gemeindeverband EMIH über alle Maßen. »In Ungarn erleben wir eine wahre Renaissance des jüdischen Lebens und der jüdischen Kultur«, sagte der Politiker. Dabei spiele die Organisation eine entscheidende Rolle, weil sie nicht nur die historischen Traditionen des ungarischen Judentums bewahre, sondern diese auch gegen die Gefahren der Gegenwart verteidige.

Zu diesen Gefahren sollen im heutigen Kontext neben dem klassischen Antisemitismus und der »Opposition gegenüber Israel« auch die »islamische Migration« zählen. Deshalb sei es jetzt angebracht, der EMIH die höchste Stufe der staatlichen Anerkennung und die damit verbundenen Privilegien der »traditionellen Kirchen« zu gewähren. Dazu gehört unter anderem der Zugang zu staatlichen Fördermitteln.

»Die Anerkennung von EMIH als Religionsgemeinschaft ist ganz normal«, kommentiert deren Rabbiner Slomó Köves. »Sie ist die logische Folge unserer Bemühungen der letzten 15 Jahre. Wir haben vielen jüdischen Menschen dabei geholfen, ihren Glauben wiederzuentdecken.«

Das Vorgehen der Regierung wird als Drohung gegen kritische Positionen interpretiert.

Die im Jahr 2004 gegründete »Vereinte Glaubensgemeinde der Israeliten in Ungarn« (EMIH) ist Teil der orthodoxen Chabad-Bewegung. Sie unterscheidet sich damit vom größten Dachverband Ma­zsihisz, der nach dem Ende des Kommunismus 1991 gegründet wurde und als neologisch, also liberal-konservativ, geprägt gilt.

konflikte Jenseits der religiösen Unterschiede kam es in den vergangenen Jahren immer häufiger auch zu politischen Konflikten zwischen den beiden jüdischen Organisationen. Hintergrund sind nicht nur persönliche Animositäten zwischen dem EMIH-Chefrabbiner Slomó Köves und dem Mazsihisz-Vorsitzenden András Heisler, sondern vor allem wichtige Unterschiede im Umgang mit der rechtspopulistischen Regierung von Viktor Orbán.

So kritisierte Mazsihisz etwa die andauernde offizielle Kampagne gegen den liberalen Milliardär und Mäzen George Soros und prangerte sie, ähnlich wie die meisten unabhängigen Stimmen in Ungarn, als klar antisemitisch an. Die EMIH-Führung distanzierte sich hingegen von dieser Kritik.

Den Höhepunkt des Konflikts bildete jedoch eine der jüngsten Episoden um das umstrittene »Haus der Schicksale«. Unter diesem Namen möchte die Orbán-Regierung seit Jahren ein neues Museum in Budapest eröffnen, in dem die staatsoffizielle Version der Geschichte des Holocaust erzählt werden soll. Das Projekt stieß jedoch lange auf Widerstand vonseiten des Mazsihisz, der die Ansicht der meisten seriösen Historiker teilt und das Regierungskonzept für falsch und nationalistisch hält.

Boykott Im vergangenen Jahr gab dann plötzlich EMIH bekannt, den Boykott des Mazsihisz brechen und sich am Museums­projekt beteiligen zu wollen. EMIH, die sich anders als andere jüdische Organisationen im Land seit ihrer Gründung nicht ein einziges Mal kritisch gegenüber der Regierungspartei Fidesz geäußert hat, profiliert sich damit auch als politische Konkurrenz zu Mazsihisz.

EMIH profiliert sich als politische Konkurrenz zu Mazsihisz.

Zwar fiel Mazsihisz keinesfalls durch radikale Positionen auf – und viele liberale Juden werfen dem Verband sogar häufig vor, zu kompromissbereit zu sein –, doch offensichtlich gibt sich die Regierung damit kaum zufrieden. Die Anerkennung von EMIH als »traditionelle Kirche« wird in der Praxis heißen, dass das Kabinett eine weitere jüdische Organisation als offiziellen Gesprächspartner anerkennt – und sich damit künftig aussuchen kann, wer im Namen der ungarischen Juden spricht.

Präzedenzfall Mazsihisz-Vorsitzender Heisler nannte den Schritt »schwer verständlich«, wollte ihn aber öffentlich nicht weiter kommentieren. Doch liegt es nahe, dass das Vorgehen der Regierung als Drohung gegen jene Stimmen empfunden wird, die sich selbst nur mäßige Kritik erlauben. Der Status einer »traditionellen Kirche« kann nämlich auch aberkannt werden – dafür reicht ein Votum im Fidesz-kontrollierten Parlament.

So verlor vor einigen Jahren eine christliche Gemeinde, deren Vorsteher sich klar gegen Orbáns Politik positionierte, auf diese Weise den Zugang zu den öffentlichen Geldquellen.

Erstaunlich ist, dass die Einschüchterungstaktik der Machthaber in Budapest bisher wunderbar zu funktionieren scheint, ohne dass Ungarn dafür einen nennenswerten Preis auf EU-Ebene zahlen muss.

Schweiz

Fünf Übergriffe auf Juden an einem Wochenende in Zürich

Die jüdische Gemeinschaft der Schweiz ist zunehmend verunsichert - der Antisemitismus hat ein Allzeithoch erreicht

 11.12.2024

Osteuropa

Der Zauber von Lublin

Isaac Bashevis Singer machte die polnische Stadt im Roman weltberühmt – jetzt entdeckt sie ihr jüdisches Erbe und bezieht es in die Vorbereitungen auf das Europäische Kulturhauptstadtjahr 2029 mit ein

von Dorothee Baer-Bogenschütz  10.12.2024

Sofia

Nach Nichtwahl ausgeschlossen

Bulgarien steckt in einer politischen Dauerkrise - und mittendrin steht ein jüdischer Politiker, den seine Partei jetzt ausschloss

von Michael Thaidigsmann  09.12.2024

Vatikan

Papst Franziskus betet an Krippe mit Palästinensertuch

Die Krippe wurde von der PLO organisiert

 09.12.2024

Österreich

Jüdisch? Arabisch? Beides!

Mit »Yalla« widmet sich das Jüdische Museum Hohenems einer komplexen Beziehungsgeschichte

von Nicole Dreyfus  07.12.2024

Australien

Anschlag auf Synagoge »völlig vorhersebare Entwicklung«

Die jüdische Gemeinde in Australien steht unter Schock. Auf die Synagoge in Melbourne wurde ein Anschlag verübt. Die Ermittlungen laufen

 06.12.2024

Streit um FPÖ-Immunität

Jüdische Studenten zeigen Parlamentspräsidenten an

Walter Rosenkranz habe Ansuchen der österreichischen Staatsanwaltschaft auf Aufhebung der Immunität von drei FPÖ-Parteifreunden verschleppt.

von Stefan Schocher  05.12.2024

USA

Trump will Jared Isaacman zum NASA-Chef ernennen

Der mögliche zweite Jude auf dem Chefsessel der Weltraumbehörde hat ehrgeizige Vorstellungen

von Imanuel Marcus  05.12.2024

Frankreich und der Nahe Osten

Diplomatisches Tauziehen

Paris soll eine Schlüsselrolle im Aushandeln der Waffenruhe im Libanon gespielt haben

von Florian Kappelsberger  04.12.2024