Noch vor zehn Jahren machte die »Bewegung für ein besseres Ungarn«, kurz Jobbik, Schlagzeilen in den internationalen Nachrichten: Die neue Partei, die durch rechtsextreme Parolen und glatzköpfige, aggressiv durch Innenstädte marschierende Anhänger auffiel, zog damals zum ersten Mal ins Parlament ein.
Die fast 17 Prozent der Stimmen, die sie erhielt, zeigten, wohin der Wind in der ungarischen Politik wehte: Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Hetze gegen Roma sowie ein radikaler Stil, der den Kontrast mit dem herkömmlichen, »korrupten« Budapester Politikbetrieb betonte. Damit galt die Jobbik lange als Beispiel dafür, wie der neue osteuropäische Faschismus aussieht und wie er vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise gewinnen kann.
Fidesz Heute scheinen diese Zeiten lange vorbei zu sein, und zwar nicht nur, weil die Wirtschaft überall in Osteuropa boomt, sondern vor allem, weil die ebenfalls seit 2010 alleinregierende Fidesz Schritt für Schritt die rechtsradikale Schau gestohlen hat. Antisemitische Witze macht der Parlamentspräsident, ein alter Kompagnon Viktor Orbáns, selbst und sorgt auch dafür, dass dies in regelmäßigen Abständen geschieht. »Arbeitsscheue« Roma drangsalieren?
Das erledigt die Fidesz-Gesetzgebung, die Obdachlosigkeit kriminalisiert und die Sozialhilfe für Arbeitslose stark einschränkte. Aus der Opposition gegen Einwanderung pöbeln? Völlig überflüssig, das macht der Premier höchstpersönlich!
Wofür also kann in einem solchen politischen Kontext die Jobbik noch stehen? Diese Frage beschäftigte jahrelang die Partei, doch eine überzeugende Antwort konnte nicht gefunden werden. Zwar konzentrierte sich eine der Strategien darauf, die grassierende Korruption der Fidesz-Elite zu kritisieren und die rechtsextremen Noten etwas zu dämpfen, in der Hoffnung, damit einige Mittelschichtsstimmen zu gewinnen.
Doch damit gelang kein Durchbruch: Bei den Parlamentswahlen 2014 und 2018 bekam die Jobbik nicht mehr als 20 Prozent, und langsam wurde klar, dass die Korruptionskritik kein Alleinstellungsmerkmal der Partei sein kann und dass ein halbherziger Bruch mit dem Rechtsextremismus nicht lohnt. Die Stimmen, die man damit »in der Mitte der Gesellschaft« gewann, gingen nämlich am radikalen Rand wieder verloren, denn viele ursprüngliche Jobbik-Anhänger, darunter auch Kommunalpolitiker und Abgeordnete, zeigten sich mit den milderen Tönen unzufrieden und gründeten ihre eigene Bewegung mit dem Namen »Unsere Heimat«.
Europawahl Als Jobbik bei der letzten Europawahl im Mai 2019 nur sechs Prozent erzielte und alle Kommentatoren von ihrem Untergang sprachen, gab Fraktionschef Péter Jakab bekannt, sich für den Parteivorsitz zu interessieren und eine radikale Erneuerung anzustreben. Vor Kurzem wurde er tatsächlich ins Amt gewählt.
Anders als viele seiner Kollegen machte der ambi-tionierte 39-Jährige nie ein Geheimnis aus seiner jüdischen Abstammung und konnte deshalb jene peinlichen Situationen vermeiden, die die Jobbik-Führungsriege immer wieder plagen. Sein Urgroßvater wurde in Auschwitz ermordet, seine Großmutter ließ sich noch vor dem Zweiten Weltkrieg taufen und überlebte die Schoa.
Lehramt Jakab, der Biologie auf Lehramt studierte und mehrere kommunalpolitische Ämter in seiner Geburtsstadt Miskolc ausübte, bevor er 2018 ins Parlament einzog, vertritt eigenen Angaben zufolge eine »gemäßigt nationalkonservative Linie« und möchte sich offenbar von denjenigen Kollegen trennen, die durch antisemitische Gesten oder Äußerungen auffallen. So forderte er vor zwei Wochen den Rücktritt eines Jobbik-Kreisrats, der ein antisemitisches Video verbreitet hatte.
Ob der neue Vorsitzende tatsächlich eine radikale Kehrtwende in der Partei durchsetzen kann, steht auf einem anderen Blatt: Eine völlig faschismusfreie Jobbik ist schwer vorstellbar, denn Rechtsextremismus war lange der einzig mögliche Grund, warum jemand überhaupt Jobbik-Mitglied wurde, und eine alternative Identität hat die Partei noch nicht entwickelt.