Das Gekünstelte, das Bemühte, das Unehrliche und das Ängstliche im Umgang mit Juden in Österreich – mehr als 75 Jahre nach der Schoa irritiert und beschäftigt es die Wiener Autorin Alexia Weiss. Um nicht nur ihrem persönlichen Unbehagen im »nicht-normalen« jüdischen Alltag Ausdruck zu verleihen, sondern ein vielfältigeres Stimmungsbild der Gemeinschaft zu zeigen, hat sie ein informatives, lebendiges Reportagebuch geschrieben.
Es trägt den Titel Jude ist kein Schimpfwort. Weiss porträtiert darin vier Frauen und drei Männer, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und deckt damit einen guten Querschnitt jüdischer Lebenserfahrung im heutigen Wien ab.
alltag »Das ist kein Buch ausschließlich über Antisemitismus, denn leider gibt es ihn – auch in steigendem Ausmaß –, und daher kann man ihn sich nicht einfach wegdenken«, sagt Weiss. »Aber ich will hier vor allem über die vielen kleinen Dinge erzählen, denen Juden und Jüdinnen in Österreich in ihrem Alltag begegnen.«
Die Autorin registriert sowohl das Gefühl, über Gebühr umarmt oder sogar auf ein Podest gestellt zu werden, und andererseits die Tatsache, dass Sicherheitskontrollen in jüdischen Institutionen zwar gut und richtig sind, aber keinesfalls als ein Zeichen der »Normalität« gewertet werden können.
Ihre persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen beschreibt die Mutter eines Teenagers in teils peinlich berührenden, aber auch witzigen Anekdoten, die ihre Thesen stützen, dass sowohl viel Unwissen als auch »Sich-nicht-fragen-trauen« noch immer zu diesem ambivalenten Zugang und Verhalten beitragen. Daher flicht sie zwischen den Porträts immer wieder historisches Wissen ein, ohne zu belehren.
stigmatisierung »Positiv ist es, dass Begriffe wie ›Kristallnacht‹ nicht mehr ohne Erklärung verwendet werden, sondern korrekterweise ›Novemberpogrom‹.« Hartnäckig und beharrlich halten sich jedoch umgangssprachlich die Bezeichnungen »Halb- und Vierteljuden«, die dem Rassenwahn der Nazis und der daraus resultierenden Stigmatisierung geschuldet sind.
Das findet Weiss ebenso verstörend wie das jüdische Menschen österreichischer Nationalität ausgrenzende Attribut »Mit-«. »Gut gemeint, aber trotzdem unreflektiert und unsensibel ist es, wenn politische Repräsentanten bei den verschiedensten Anlässen, wenn sie von jüdischen Menschen reden, diese zumeist als Mitbürger und Mitbürgerinnen ansprechen. Entweder sind sie Bürger dieses Staates oder nicht, aber den Status eines Mitbürgers gibt es nicht.«
Auch die verbale Vereinnahmung durch den Verweis auf das »christlich-jüdische Abendland« oder das »christlich-jüdische Erbe« ist angesichts der Verfolgungsgeschichte der Juden in Österreich – milde gesagt – ein nicht sehr stimmiges Konstrukt.
wachsamkeit Die Sensibilität und Wachsamkeit, die Alexia Weiss im zwischenmenschlichen Umgang mit der Sprache auszeichnet, kommt nicht überraschend. Nach ihrem Germanistikstudium und der Journalistenausbildung an der Universität Wien wurde sie 1993 Redakteurin bei der Austria Presse Agentur (APA). Seit 2007 arbeitet sie als freie Journalistin und Autorin; aktuell schreibt sie vor allem für das jüdische Magazin »Wina« und für Gewerkschaftsmedien, und sie bloggt regelmäßig zum Thema »Jüdisch leben« für die »Wiener Zeitung«.
Daher weiß sie, dass der Wiener Immobilienmakler Chanan Babacsayv im Alltag oft über seine Herkunft befragt wird, während Ursula Raberger, die Organisatorin des Kibbutz Klubs und Absolventin der Film- und Theaterakademie, oft mit der Frage konfrontiert wird: Wie geht jüdisch und queer zusammen?
Aufschlussreich sind auch die Gespräche mit einer irakischen Fremdenführerin im Wiener Stadttempel sowie die Erfahrungen von Willy Weisz, dem Vorstand des Internationalen Rates für Christen und Juden.
Alexia Weiss: »Jude ist kein Schimpfwort. Zwischen Umarmung und Ablehnung – Jüdisches Leben in Österreich«. Kremayr & Scheriau, Wien 2021, 192 S., 22 €