Was muss ich einem Freiwilligen bieten, um ihn bei der Stange zu halten? Wie kann ich ihn motivieren, und wie gehe ich mit meiner eigenen Enttäuschung um?» Aufmerksam hören 30 junge Teilnehmer zu, als Julius Dem, er trägt Karohemd und Jeans, von den eigenen Erfahrungen bei der Organisation der Europäischen Makkabi-Spiele 2011 in Wien erzählt.
Die jungen Menschen sitzen in einem Seminarraum der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Sie wissen, wovon Dem spricht. Sie selbst haben diese Aspekte in der eigenen Arbeit als Ehrenamtliche in ihren Heimatgemeinden erfahren. «Wer sich freiwillig meldet, fühlt sich – anders als derjenige, der bezahlt wird – noch nicht verpflichtet zu helfen», sagt Dem. Die meisten in der Runde nicken.
Abschluss Zum dritten Mal in diesem Jahr haben sich junge Erwachsene aus Österreich, Deutschland und der Schweiz zu einem Seminar des «Next Step»-Fortbildungsprogramms für jüdische Nachwuchsführungskräfte getroffen. Nachdem sie sich im März in Zürich und im Juli in Berlin begegnet waren, fand am Wochenende das dreitätige Abschlussseminar in Wien statt.
Initiiert und getragen wird das Projekt von den jüdischen Dachverbänden der drei deutschsprachigen Länder, dem Bundesverband der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs, dem Zentralrat der Juden in Deutschland und dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund. Ziel der Seminarreihe ist es, junge Erwachsene darauf vorzubereiten, leitende Aufgaben in Gemeinden und jüdischen Organisationen zu übernehmen. Es ist das erste grenzüberschreitende Bildungsprogramm dieser Art.
Themen In Wien haben sich die Teilnehmer den Themenkomplex Projektmanagement vorgenommen. Bei den vorangegangenen Terminen in Zürich und Berlin ging es um Teambildung und Konfliktmanagement. Diesmal sollen die jungen Leute erste Erfahrungen mit dem Projektmanagement machen, um für ihre Arbeit in den Gemeinden gerüstet zu sein.
«Die Freiwilligenarbeit nimmt einen großen Stellenwert ein», erklärt bei der Abschlussdiskussion Julius Dem, der das Wiener Seminar leitet. Der studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler lehrt an der Lauder Business School in Wien. Aber nicht nur die Veranstalter heben das Ehrenamt hervor, es kommt auch bei den Teilnehmern an. Angeregt antworten sie auf die Fragen, die Dem aufwirft, tauschen Erfahrungen aus, diskutieren. Und das, obwohl sie schon den dritten Tag zusammensitzen.
Der Freitag und der Samstag waren dicht verplant: Unter Anleitung von Julius Dem entwickelten die jungen Teilnehmer in den einzelnen Gruppen Projekte, um die länderübergreifende Zusammenarbeit zu stärken. Die Ideen reichen von einer Webseite für sogenannte Young Professionals, also gut ausgebildete Menschen am Anfang ihrer Karriere, über die akademische Weiterbildung bis zu einem «Jewniverse», in dem sich junge Leute auf Reisen Tipps für die einzelnen Städte holen können.
«Wir möchten, dass aus jedem Land zumindest eine Projektidee umgesetzt wird», sagt Benjamin Gilkarov, der das Seminar vonseiten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien organisiert hat. Als Erfolg würde er werten, wenn sich langfristig wenigstens ein Projekt halten kann.
Erfahrung Neben den Inhalten nehmen die Teilnehmer eine besondere Erfahrung von den drei Fortbildungsseminaren mit. «Zum ersten Mal sind junge Leute aus den D-A-CH-Ländern, also aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, zusammengekommen», sagt Alisa Rubinstein. Das sei die perfekte Möglichkeit, Menschen kennenzulernen, die dieselbe Sprache sprechen, sich geografisch nahe sind und vor denselben Herausforderungen stehen. «Wir merken jetzt, dass wir nicht allein sind.» Die junge Frau lebt in München und arbeitet dort in der Wirtschaftsabteilung des israelischen Generalkonsulats. Ehrenamtlich sei sie seit ihrer Jugendzeit in der Gemeinde aktiv, erzählt sie.
Es sei heute schwer, Jugendliche für jüdische Themen zu interessieren. Probleme sieht Alisa im Image der Gemeinden und dem fehlenden Angebot für die Generation ab 20. Dem stimmt der Wiener Oliver Stein zu. Als er nach dem Studium nach Wien zurückkehrte, konnte er über Aktivitäten nur schwer wieder ans Gemeindeleben andocken.
Alisa hat nach ihrer Rückkehr aus Israel Ähnliches erlebt. Umso motivierter sind die beiden, junge Leute künftig ins Gemeindeleben einzubinden. «Für mich ist es eine Herzensangelegenheit», sagt Alisa. «Wir können nicht erwarten, dass es jüdisches Leben gibt, wenn wir uns nicht selbst engagieren», meint Oliver, der bei Keren Hayesod in Wien mitarbeitet. Vom Programm zeigen sich beide überzeugt: «Jetzt im Nachhinein frage ich mich, warum wir uns nicht schon viel früher vernetzt haben», sagt Alisa und lacht.
Daniel Botmann, der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist zufrieden mit der ersten Next-Step-Seminarreihe. Sie sei «ein großer Erfolg», sagt er. Man habe «einen Pool von 30 hochqualifizierten jungen jüdischen Persönlichkeiten geschaffen, die hoch motiviert sind, sich auch künftig in der jüdischen Gemeinschaft zu engagieren». Außerdem «haben wir die Kooperation der Spitzenverbände der drei deutschsprachigen Länder auf eine neue Stufe gehoben». Botmann kündigte an, dass die Kooperation der drei Länder künftig auf weitere Gebiete ausgeweitet werden soll.
Bereits jetzt steht fest: Die nächste Next-Step-Reihe ist für 2017 geplant.