Fast ein Drittel der französischen Erwachsenen glaubt einer Umfrage zufolge, dass zwei Millionen oder weniger Juden während des Holocausts ermordet wurden. 66 Prozent der Befragten kennen zwar Auschwitz-Birkenau, nur die wenigsten Franzosen können aber etwas mit den Namen Dachau, Buchenwald, Treblinka, Sobibor oder Bergen-Belsen anfangen. Gar nur jeder Fünfzigste in Frankreich kennt den Namen des Internierungslagers Drancy, von dem aus während des Zweiten Weltkriegs französische Juden in die Todeslager der Nazis deportiert wurden.
Zu diesen Resultaten kam jetzt eine von der Claims Conference unter 1100 erwachsenen Franzosen durchgeführte Umfrage zum Wissen über den Holocaust. Die Ergebnisse wurden am Mittwoch veröffentlicht.
Der Präsident der Claims Conference, Julius Berman, sagte, man erlebe »wieder einen signifikanten Wissensmangel über den Holocaust.« Die derzeitigen Bemühungen um Bildung und Aufklärung reichten nicht aus, und die Ergebnisse der Studie unterstrichen »die Notwendigkeit von Holocaust-Erziehung«.
Taskforce Matthew Bronfman, Vorsitzender der Claims Conference-Taskforce, die die Studie begleitete, nannte es »verheerend zu erfahren, dass die jüngeren Generationen die Auswirkungen des Holocaust nicht verstehen«. Bronfman sagte weiter: »Wie können wir ohne entsprechendes Wissen sicherstellen, dass wir Vorurteilen und unkontrolliertem Hass entschlossen entgegentreten?«
Gerade unter jüngeren Befragten, den sogenannten Millennials und der Generation Z, ist das Unwissen über den Massenmord an sechs Millionen Juden durch Nazi-Deutschland weit verbreitet, vor allem, wenn Einzelheiten abgefragt werden. So konnte eine Mehrheit der Befragten (57 Prozent) die genaue Zahl der Holocaust-Opfer nicht korrekt benennen, unter jüngeren Befragten waren es sogar 69 Prozent.
Knapp die Hälfte der jüngeren Befragten waren sich der Kollaboration der Vichy-Regierung mit dem Nazi-Regime gar nicht bewusst.
»Wir müssen neue Kommunikationsstrategien für die Holocaust-Vermittlung entwickeln, die geeignet sind, die junge Generation zu erreichen«, verlangte Rüdiger Mahlo, Repräsentant der Claims Conference in Deutschland und ebenfalls Mitglied der Taskforce. Immer weniger Wissen über den Holocaust gehe anscheinend einher mit anwachsenden Antisemitismus, sagte Mahlo der »Jüdischen Allgemeinen«.
Länderstudien Die Frankreich-Umfrage ist die vierte in einer Reihe von Länderstudien, die die Claims Conference bereits durchgeführt hat. Zuvor waren Menschen in den USA, in Kanada und in Österreich in Bezug auf ihr Wissen über den NS-Massenmord an Europas Juden und ihre Einschätzung der aktuellen Lage interviewt worden.
Eine Mehrheit der französischen Umfrageteilnehmer äußerte sich zwiespältig über die Haltung Frankreichs in der Zeit der NS-Besatzung und der Deportation. Zwischen 1940 und 1944 waren 75.000 Juden aus Frankreich in die deutschen Vernichtungslager deportiert worden, nur rund 2500 von ihnen überlebten.
Vichy Obwohl nur der nördliche Teil des Landes von deutschen Truppen besetzt war, beteiligte sich die Vichy-Regierung von Marschall Pétain im Süden des Landes aktiv an Razzien gegen Juden. Nun gaben in der Umfrage 58 Prozent der Befragten an, Frankreich sei damals sowohl Opfer als auch Täter gewesen. Knapp die Hälfte der jüngeren Befragten waren sich der Kollaboration der Vichy-Regierung mit dem Nazi-Regime gar nicht bewusst.
In der Studie ging es allerdings nicht nur um Wissen über die Vergangenheit, sondern auch um künftige Entwicklungen. 52 Prozent der Befragten brachten ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass sich ein Ereignis wie die Schoa in Europa durchaus wiederholen könnte. 36 Prozent waren der Meinung, dies könne auch in den USA passieren. In der Umfrage in Österreich bejahten das sogar 47 Prozent aller Befragten.
In der Frankreich-Umfrage erklärten 69 Prozent, dass der Antisemitismus in ihrem Land entweder angestiegen oder auf dem gleichen Niveau wie noch vor zehn Jahren sei. Nur 18 Prozent fanden, dass es heute weniger Hass auf Juden gebe.
Immerhin 82 Prozent stimmten der Aussage zu, es sei wichtig, auch künftig über den Holocaust aufzuklären, damit er sich nicht wiederhole.
Schulunterricht Immerhin 82 Prozent stimmten der Aussage zu, es sei wichtig, auch künftig über den Holocaust aufzuklären, damit er sich nicht wiederhole. Fast genauso viele Befragte forderten, dass alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend etwas über das Thema lernen sollten. Zwei Fünftel der Teilnehmer meinten, der Schulunterricht zu dieser Thematik sei verbesserungswürdig.
Robert Ejnes, Geschäftsführer des jüdischen Dachverbandes CRIF (CRIF), erklärte dazu: »Frankreich hat viel im Bereich der Holocaust-Erziehung getan, aber wir alle wissen, dass sie immer wieder aufs Neue überprüft und an jede Generation angepasst werden muss.«
Für knapp zwei Drittel aller Umfrageteilnehmer war übrigens das Tagebuch der Anne Frank ihre erste Begegnung mit dem Thema Holocaust. Die allermeisten wussten aber nicht, dass auch die Niederlande ein Schauplatz der NS-Judenverfolgung waren.