Rabbi Bentolila, Sie leben seit 26 Jahren in der Demokratischen Republik Kongo. Wie kam es dazu?
Seit 1987, als ich noch Student an der zentralen Lubawitscher Jeschiwa in New York war, wurde ich wiederholt in mehrere Länder Zentralafrikas geschickt, um mich um jüdische Gemeinden zu kümmern. Wir organisierten Barmizwa-Feiern und Themenabende. 1991 sandte mich der Lubawitscher Rebbe gemeinsam mit meiner Frau in die Demokratische Republik Kongo, die damals noch Zaire hieß. Am Tag, an dem der Golfkrieg ausbrach, landeten wir mit unserer Tochter in der Hauptstadt Kinshasa. Ursprünglich komme ich aus Montreal und meine Frau aus Mailand. Unsere Kinder wuchsen hier in Afrika auf. Als sie 13 oder 14 waren, haben sie das Land verlassen, um in Kanada, den USA, Frankreich und Italien eine jüdische Ausbildung zu erhalten.
In Ihren Aufgabenbereich fallen etliche Länder. Wie funktioniert die Koordinierung der jüdischen Gemeindezentren und Schulen in Zentralafrika?
Da es in Kinshasa eine lebhafte jüdische Gemeinde gibt, entschlossen wir uns, von hier aus das jüdische Leben zu fördern und ein Bewusstsein für unsere Tradition zu schaffen. Von Beginn an hielten wir engen Kontakt mit den verstreuten Gemeinden in Zentralafrika. Rabbinatsstudenten und ich selbst besuchten sie regelmäßig. Später brachten wir Torarollen für Barmizwa-Feiern bis nach Eritrea oder Ghana und Wein und Mazzot für den Sederabend bis nach Sansibar oder Burkina Faso. Chabad Zentralafrika wurde über die Jahre zur wichtigsten Anlaufstelle für alles Jüdische in der Region. Und seit es das Internet gibt, sind wir noch intensiver in Kontakt mit den jüdischen Gruppen. Zudem konnten wir in fünf Ländern Chabad-Häuser errichten – dort dient jeweils ein Paar als Gesandte. Alle erstatten uns Bericht und werden durch Spenden unserer Organisation oder von örtlichen Sponsoren finanziert.
Kümmern Sie sich mehr um jüdische Expats oder um afrikanische Juden?
Um beide.
Was unterscheidet Ihre Arbeit von der eines Rabbiners in Europa oder Amerika?
Wasser, Strom, Medizin – Afrika lässt dich erkennen, dass nichts selbstverständlich ist. Wenn Strom oder Wasser ausfällt, geht das Leben dennoch weiter. Zugleich erkennt man, wie viel mehr man leisten muss, um den Leuten zu helfen. Leider spielt in Afrika der Faktor Zeit eine untergeordnete Rolle, und ich persönlich habe es aufgegeben, eine Uhr zu tragen. Am schwierigsten ist es, sich von seinen Kindern zu trennen, wenn sie im jungen Alter eine Schule im Ausland besuchen.
Welche kulturellen Hürden mussten Sie überwinden?
Ich glaube, die Methoden des Westens eignen sich schlecht für diesen Kontinent. Afrikaner haben ihre Kultur, und die Integration in eine Gemeinde bedeutet nicht, dass sie ihre Bräuche und ihre Lebensweise aufgeben. Inzwischen gibt es international herausragende afrikanische Künstler, Wissenschaftler und Schriftsteller – aber sie sollten ihr afrikanisches Erbe nicht vergessen.
Wie wurden Sie von den Afrikanern aufgenommen?
Afrikaner lieben Juden, und Chabad besitzt einen hohen Stellenwert. Ich erinnere mich an einen Bootsausflug an einem Sonntag. Als wir an einem Fischerdorf vorbeifuhren, erkannten wir einen Schriftzug an einem der Häuser: »Nichts kann verdammt werden, was bereits gesegnet ist. Gott segne Israel.« In meinen 26 Jahren in Afrika wurde ich von vielen afrikanischen Regierungschefs empfangen, die uns alle ihre Zuneigung bestätigten. Kongos Präsident Joseph Kabila sandte zu unserer 20-Jahr-Feier einen Vertreter mit einer herzerwärmenden Botschaft. Persönlich habe ich in keinem der 15 Länder, die ich in Afrika bisher bereist bin, Antisemitismus erlebt – nur großen Respekt gegenüber Juden. Die lokale Bevölkerung gab uns den Spitznamen »Volk aus dem Buch«.
Rabbiner Shlomo Bentolila leitet vom Kongo aus die Niederlassungen von Chabad Lubawitsch in Zentralafrika. Mit ihm sprach Markus Schönherr.