103 Jahre alt wurde Ágnes Keleti. Bis zum 2. Januar 2025 war die frühere Weltklasseturnerin die älteste lebende Olympiasiegerin aller Zeiten. Doch es waren nicht nur ihr hohes Alter und ihre Fähigkeit, noch bis kurz vor ihrem 100. Geburtstag in den Spagat zu gehen, die Keleti zu einer der beeindruckendsten Personen der Sportgeschichte machten.
Geboren wurde sie 1921 in eine jüdische Familie in Budapest. Bald fing sie nicht nur an, Cello zu spielen, sondern entdeckte auch das Turnen. Und sie hörte nicht mehr auf. Schon eine einfache Auflistung ihrer Erfolge offenbart die Bedeutung dieser Frau, und das nicht nur im Sport. Mit 18 Jahren gab sie 1939 ihr Debüt in der ungarischen Nationalmannschaft. 1940 wurde sie erstmals ungarische Meisterin. Dann klafft in der Chronologie eine große Lücke. Die Schoa.
Der Vater wurde verschleppt und in Auschwitz ermordet
Ungarn wurde ab 1941 zum Verbündeten des NS-Regimes, auch ungarische Juden wurden verfolgt. Noch schlimmer wurde es, als die Wehrmacht Ungarn besetzte. Auch die Familie Keleti wurde drangsaliert, und Ágnesʼ Vater, der ihr sportliches Talent so sehr gefördert hatte, wurde schließlich verschleppt und in Auschwitz ermordet. Die Mutter und Schwester konnten von dem schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg gerettet werden. Ágnes Keleti selbst überlebte, weil sie sich gefälschte Papiere besorgt und als Dienstmädchen bei einer nazifreundlichen Familie in Südungarn untergetaucht war.
Nach der Befreiung ging sie zurück nach Budapest und begann sogleich wieder mit Sport und Musik. Sie turnte und wurde Profi-Cellistin. Die Erfolgs-Chronologie setzt 1946 wieder ein, mit einem Sieg bei den Balkanspielen. 1948 konnte sie verletzungsbedingt nicht an den Olympischen Spielen in London teilnehmen.
1952 in Helsinki errang sie den ersten, ganz großen Triumph.
Doch 1952 in Helsinki errang sie den ersten, ganz großen Triumph: Olympisches Gold, dazu Silber und Bronze. 1956 in Melbourne gab es dreimal Einzelgold und einmal in der Mannschaftswertung plus zwei Silbermedaillen. 31 Jahre alt war Keleti, als ihr erstmals die Olympiamedaille umgehängt wurde, 35, als sie ihren Vierfach-Triumph feierte. Für eine Turnerin war sie damals schon bemerkenswert alt. Sie hat sich die ihr von den Nazis gestohlenen Jahre zurückgeholt.
Die Olympischen Spiele 1956 fanden im November statt, weil das in Melbourne klimatisch die bessere Wahl war. Im fernen Australien bekam Keleti mit, dass die sowjetische Armee den Aufstand ihrer Landsleute in Ungarn für mehr Demokratie brutal niedergewalzt hatte. Keleti entschied sich mit 50 anderen ungarischen Sportlerinnen und Sportlern, in Australien zu bleiben.
Mit Mutter und Schwester nach Israel
Ein Jahr später ging sie mit Mutter und Schwester nach Israel. Sie wurde Turntrainerin am Wingate-Institut, der israelischen Sporthochschule südlich von Netanya. Ihr Talent und ihre Erfahrung ließen sie bald zur Nationaltrainerin aufsteigen. Zwischenzeitlich wurde sie von Italien zur Betreuung des Turnequipe abgeworben. Eine Ehe, die sie in Ungarn geschlossen hatte, wurde geschieden. In Israel heiratete sie einen ungarischen Trainer, der ebenfalls Alija gemacht hatte. Sie bekamen zwei Söhne, »zwei weitere Goldmedaillen«, wie Keleti einmal sagte.
Nach der politischen Wende 1990 zog es sie zurück nach Ungarn, doch ohne sich je ganz von Israel abzuwenden. 2017 wurde sie mit dem Israel-Preis geehrt, der höchsten Kulturauszeichnung des jüdischen Staates. Israels Turnmeisterschaften tragen mittlerweile ihren Namen.
Nun ist Ágnes Keleti an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Sie wird in Budapest, auf dem jüdischen Friedhof in der Kozmastraße, beigesetzt – am 9. Januar, dem Tag, an dem sie 104 Jahre alt geworden wäre.