Ungarn

Absage an Orbán

Holocaust-Mahnmal in Budapest Foto: dpa

Mit 76 Ja- und zwei Nein-Stimmen sowie drei Enthaltungen hat der Ungarische Nationalrat jüdischer Gemeinden (Mazsihisz) am Sonntag bis auf Weiteres den Boykott des Holocaust-Gedenkjahres in Ungarn beschlossen. Das Gedenkjahr war von der Regierung ausgerufen worden, um an die Deportationen von mehr als 465.000 ungarischen Juden vor 70 Jahren zu erinnern.

Es sollte auch dazu dienen, die Regierung von dem Vorwurf reinzuwaschen, sie gehe nicht energisch genug gegen Antisemitismus vor. Nun droht ein komplettes Image-Fiasko. Bereits letzte Woche hatten mehrere jüdische Gemeinden die staatliche Unterstützung für Gedenkveranstaltungen in Höhe von 150.000 Euro zurückgegeben.

wogen Um die Wogen zu glätten, hatte ein Regierungsvertreter am vergangenen Donnerstag zum Runden Tisch mit jüdischen Organisationen geladen. Mit dabei war auch Mazsihisz, der rund zehn Prozent der etwa 120.000 ungarischen Juden vertritt. Bei dem Treffen gelang es jedoch nicht, Meinungsverschiedenheiten über das Holocaust-Gedenkjahr zu klären, die in den vergangenen Wochen zu einem regelrechten Kulturkrieg geführt hatten. Dazu gehörte vor allem der geplante Bau eines Mahnmals zum Gedenken an die deutsche Besatzung Ungarns 1944.

Das offizielle Ungarn betont, dass das geplante Monument an die jüdischen Opfer erinnern solle. Kritiker sehen das Denkmal jedoch als Versuch, die ungarischen Behörden und die Bevölkerung von der Verantwortung für die Kollaboration und die Deportation der Juden reinzuwaschen. »Es handelt sich um ein politisch motiviertes Denkmal, dessen einzige Rolle es ist, Ungarn als ›besetztes Opfer‹ darzustellen«, sagt Rabbiner Zoltán Radnóti, der auf seinem Blog Dokumente zur ungarischen Kollaboration sammelt und veröffentlicht. Das Gedenkjahr habe er zunächst als Möglichkeit betrachtet, die Vergangenheit gemeinsam zu erkennen und an sie zu erinnern. Doch es sollte anders kommen.

streit Der Streit um das Besatzungsdenkmal wuchs sich sogar zu einem internationalen Skandal aus, als der Historiker Randalph L. Braham, Experte für die Geschichte des Holocausts in Ungarn und selbst Schoa-Überlebender, seine staatlichen ungarischen Auszeichnungen zurückgab.

Das Mahnmal bewog auch das Jüdische Fremdenverkehrs- und Kulturzentrum, seine Beteiligung am Holocaust-Gedenkjahr abzusagen. »Wir wollen das Nazi-Denkmal nicht, wir wollen die Geschichtsfälschung und die Schändung der Erinnerung an unsere Toten nicht. Wir wollen nichts von diesem politischen Drama, dem die Erinnerung an unsere Ahnen und die Zukunft unserer Kinder zum Opfer fallen könnte«, teilte die Direktorin des Jüdischen Sommerfestivals, Vera Vadas, via Facebook mit.

Das Denkmal blieb jedoch nicht der einzige Streitpunkt. Sándor Szakály, Direktor eines erst kürzlich gegründeten geschichtswissenschaftlichen Forschungsinstituts, bezeichnete die Ausweisung von rund 17.000 staatenlosen Juden im Jahr 1941 als eine »Maßnahme der Fremdenpolizei«. (Die meisten wurden später von Wehrmachtssoldaten und ukrainischen Milizen ermordet.)

rücktritt Szakály hat sich mittlerweile für seine Bemerkung entschuldigt, lehnt aber einen Rücktritt, wie von Mazsihisz gefordert, ab. Die jüdische Dachorganisation kritisiert auch, nicht in die Konzeption des Dokumentations- und Bildungszentrums »Haus der Schicksale« involviert zu sein, das noch in diesem Jahr in Budapest entstehen soll.

Mazsihisz’ Boykott ist nicht endgültig. Wenn Szakály nicht entlassen, das Projekt »Haus der Schicksale« nicht gestoppt und auf das Okkupationsmahnmal nicht verzichtet wird, bleibt es allerdings dabei. Ein Gedenken wird es dennoch geben. »Die jüdische Gemeinschaft gedenkt seit 68 Jahren jährlich der Deportationen, und so wird es auch dieses Jahr sein«, sagt Rabbiner Radnóti. »Wenn die Regierung daran teilnehmen möchte, werden wir ihr sicher eine Gelegenheit dazu geben.«

Stockholm

Wirtschaftsnobelpreis geht auch an jüdischen Ökonom

Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt werden für ihre Forschung zu nachhaltigem Wachstum geehrt

 13.10.2025

Kommentar

Kein Wunder in Bern

Bei gewaltbereiten Demonstrationen in der Schweizer Bundeshauptstadt hat sich ein Teil der Palästina-Solidarität einmal mehr selbst entlarvt: Es ging nie darum, das Leid im Gazastreifen zu beenden oder einen angeblichen Genozid zu stoppen

 12.10.2025

Malibu

Kiss-Sänger Gene Simmons bei Unfall verletzt

Der 76-Jährige soll hinter dem Steuer das Bewusstsein verloren haben

 10.10.2025

Meinung

Außen hui, innen pfui: Trumps Umgang mit den Juden

Während sich der US-Präsident um die Juden in Israel verdient macht, leidet die jüdische Gemeinschaft im eigenen Land unter seiner autoritären Innenpolitik. Das sollte bei aller Euphorie über den Gaza-Deal nicht vergessen werden

von Joshua Schultheis  09.10.2025

Literatur

Nobelpreis für Literatur geht an László Krasznahorkai

Die Literaturwelt blickt erneut gebannt nach Stockholm. Dort entscheidet man sich diesmal für einen großen Schriftsteller aus Ungarn - und bleibt einem Muster der vergangenen Jahre treu

von Steffen Trumpf  09.10.2025

Italien

»Mein Sohn will nicht mehr Levy heißen«

Wie ist es in diesen Tagen, Jude in einer europäischen Metropole zu sein? Ein Besuch bei Künstler Gabriele Levy im jüdischen Viertel von Rom

von Nina Schmedding  06.10.2025

Großbritannien

Empörung über Israels Einladung an Rechtsextremisten

Jüdische Verbände und Kommentatoren in Großbritannien sind entsetzt, dass Diasporaminister Chikli und Knesset-Sprecher Ohana ausgerechnet nach dem Anschlag von Manchester einen rechten Agitatoren hofieren

von Michael Thaidigsmann  06.10.2025

Türkei

»Zionist«: Robbie-Williams-Konzert in Istanbul am 7. Oktober abgesagt

Die Stadt verweist auf Sicherheitsbedenken – zuvor gab es online massive Proteste wegen jüdischer Familienbezüge des Musikers

 05.10.2025

7. Oktober

Ein Riss in der Schale

Wie Simchat Tora 2023 das Leben von Jüdinnen und Juden verändert hat

von Nicole Dreyfus  05.10.2025