Es war eine überraschende Nachricht: Nur wenige Tage, nachdem der Jüdische Weltkongress (WJC) Anfang des Monats in Budapest seine Vollversammlung abgehalten hatte, wurde der Präsident des Verbandes der ungarischen jüdischen Glaubensgemeinschaften (MAZSIHISZ), Péter Feldmájer, zum Rücktritt gezwungen.
Nach einer stürmischen Hauptversammlung entzogen ihm die Delegierten des Verbands am 12. Mai das Vertrauen. Sein Nachfolger soll Ende Juni gewählt werden. Ungarischen Medien zufolge gilt der Architekt Tamás Horovitz (52), der die Jüdische Gemeinde in Debrecen leitet, als aussichtsreichster Kandidat.
Kritik Für die Abberufung Feldmájers gibt es unterschiedliche Gründe. Der 59-jährige Anwalt hat seit der Gründung von MAZSIHISZ nach der friedlichen Revolution in Ungarn eine bestimmende Rolle im Dachverband gespielt. Er war zwischen 1991 und 1999 und erneut seit 2005 Präsident des Verbandes. Zahlreiche Kritiker warfen ihm einen autoritären Führungsstil und mangelnde Absprachen vor.
Im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen nannte Feldmájer seinen Führungsstil »klar und entschieden«. Einige Kritiker ärgerten sich über Feldmájer, weil er sich bei der WJC-Vollversammlung als alleiniger Vertreter der ungarischen Juden präsentiert habe.
Umstritten ist auch Feldmájers Umgang mit der nationalkonservativen Fidesz, die seit 2010 in Ungarn regiert. Manche warfen Feldmájer vor, antisemitische Äußerungen aus dem Umfeld der Regierungspartei nicht scharf genug zu kritisieren. Andere bemängelten, dass er es in den vergangenen Jahren nicht geschafft habe, eine funktionierende Arbeitsbeziehung zur Regierung aufzubauen.
»Es ist nicht entscheidend, regierungsnah zu sein – ich sehe mich selbst auch nicht so. Aber es ist wichtig, dass ein religiöser Würdenträger die Qualitäten hat, um die Interessen der Gemeinden gegenüber der jeweils amtierenden Regierung durchzusetzen«, sagte Tamás Horovitz dem ungarischen Online-Portal origo.hu.
Chabad Inzwischen hat die Bedeutung der orthodoxen jüdischen Organisation EMIH zugenommen. Sie ist zwar kein Mitglied von MAZSIHISZ, unterhält aber, ähnlich dem Dachverband, auch Synagogen und soziale Einrichtungen. Dem EMIH-Vorsitzenden, Chabad-Rabbiner Slomó Köves, werden sehr gute Kontakte zu Ministerpräsident Viktor Orbán nachgesagt. EMIH hat sich in den vergangenen Jahren auch staatliche Zuwendungen gesichert, die vorher ausschließlich an MAZSIHISZ geflossen sind.
»Der erst 34-jährige Slomó Köves wird inzwischen auch in der Öffentlichkeit als anerkannter Vertreter des Judentums wahrgenommen«, schreibt die ungarische Journalistin Zsuzsanna Wirth auf dem Portal origo.hu. »Noch vor einigen Jahren wäre das angesichts der Hegemonie von MAZSIHISZ unvorstellbar gewesen.« Kritiker werfen Feldmájer vor, er habe dem Bedeutungsverlust seines Verbands zu wenig entgegengesetzt. Der frühere Präsident weist alle Vorwürfe zurück.
In Ungarn leben heute etwa 150.000 Juden, die meisten in Budapest. In Gemeinden sind nach Schätzungen allerdings nur 5000 bis 30.000 aktiv. Kritiker von Feldmájer wie András Heisler, der zwischen 2003 und 2005 den Vorsitz von MAZSIHISZ innehatte, fordern, der Dachverband müsse sich säkularen jüdischen Organisationen stärker öffnen. Die Wahl des nächsten Präsidenten könnte also auch ein Votum über die zukünftige Ausrichtung von MAZSIHISZ sein.