»Das Ausmerzen des Antisemitismus ist für die Labour-Partei strategisch wichtig!« Mit diesen Worten begründet Luke Akehurst, warum er davon überzeugt ist, dass es seiner Partei ernst ist um die Abkehr vom Antisemitismus.
Akehurst ist seit vergangenem Jahr Mitglied des Vorstands der britischen Labour-Partei und Direktor der pro-israelischen britischen Organisation »We believe in Israel« (Wir glauben an Israel). Dem neuen Parteivorsitzenden Keir Starmer steht Akehurst nahe, während er gegenüber dessen Vorgänger Jeremy Corbyn kritisch eingestellt war und ist. Akehurst zufolge aus gutem Grund: »Die Unfähigkeit, gegen den Antisemitismus vorzugehen, wurde bei den britischen Nationalwahlen 2019 von der Wählerschaft als Schwäche verstanden, was für Labour zur schlimmsten Niederlage seit 100 Jahren führte.«
umbruch Die britische Labour-Partei befindet sich im Umbruch. Vorbei sind die Zeiten, in denen in der Partei Woche für Woche neue Skandale bekannt wurden – viele davon antisemitischer Natur. Beim Parteitag Ende September begrüßte Parteichef Starmer die ehemalige jüdische Unterhausabgeordnete Louise Ellman, die 2019 wegen des Antisemitismus aus der Partei ausgetreten war und jetzt zu Labour zurückkehrte, vor einem stehenden und applaudierenden Plenum in seiner großen Abschlussrede: »Willkommen zu Hause, Louise!«
In den vergangenen Monaten suchten viele jüdische Beobachter nach Beweisen dafür, dass Starmer und die Partei wirklich einen Schlussstrich unter den Antisemitismus innerhalb der Partei ziehen. Und es deutet sich an, dass sich das tatsächlich bewahrheitet.
Ein Zeichen dafür mag der weiter bestehende Ausschluss von Starmers Vorgänger aus der parlamentarischen Fraktion sein. Unter der Führung von Jeremy Corbyn hatte der Antisemitismus in der Partei derart zugenommen, dass es der Partei ein Verfahren und schließlich eine Verurteilung durch die britische Kommission für Gleichberechtigung und Menschenrechte (EHRC) einbrachte – die Stelle bestätigte im Oktober 2020 mehrere Fälle antisemitischer Diskriminierung und Schikane.
unterhaus Corbyn sitzt weiterhin isoliert im Unterhaus. Sein Nachfolger Starmer will ihm, weil er die antisemitischen Vorfälle kleingeredet hat, nicht vergeben. Parteimitglieder, die zu Corbyn halten, gibt es zwar weiterhin, aber es sind weniger geworden. Sie wirkten, als Starmer seine Abschlussrede hielt, wie ein kleiner böswilliger Rest gestriger Politik.
Dennoch kam es bei einer Abstimmung zu einer parteiinternen Mehrheit, die »die Nakba und Israels militarisierte Gewalt in der Al-Aksa-Moschee« verurteilte. Der Antrag spielte mit gleichsetzenden Begriffen wie »Apartheid« und forderte den Fall der Grenzmauer, das Ende der »Blockade Gazas« und der Besetzung des Westjordanlandes sowie »effektive Maßnahmen« – eine Beschreibung, mit der man versuchte, das Wort Boykott zu umgehen, aber nichts anderes meinte.
mut Ist Labour also doch noch keine ganz neue Partei? Immerhin: Sowohl Keir Starmer als auch Schattenaußenministerin Lisa Nandy lehnten den Beschluss ab. Denn, so formulierte es Nandy: »Labour muss eine faire und ausgeglichene Haltung zum israelisch-palästinensischen Konflikt einnehmen und inakzeptable Gewalt gegen die Zivilbevölkerung auf allen Seiten verurteilen.«
Manchen gibt das Mut. Akehurst sagt im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen, dass die Partei zwar an die 100.000 corbyntreue Genossinnen und Genossen verloren, aber genauso viele neue Mitglieder aufgenommen habe, darunter eben Personen wie Ellman und andere, die vor einigen Jahren wegen des Antisemitismus aus der Partei ausgetreten waren. Angespornt würden sie durch die von oberster Stelle geübte neue Klarheit im Handeln gegen Antisemitismus. »Alle Personen, die in der Partei etwas zu sagen haben, vom Parteichef über den Vorstand bis zum Generalsekretär, wollen aktiv gegen Antisemitismus gegensteuern«, beteuert Akehurst.
Was er damit sagen will, ist, dass sowohl im Vorstand als auch in der Fraktion inzwischen loyal zu Starmer stehende Mitglieder in der Mehrheit sind.
Bald soll eine Beschwerdestelle der Partei ihre Arbeit aufnehmen.
Der Vorsitzende des Jewish Labour Movement (Jüdische Arbeiterbewegung, JLM), Mike Katz, ist sich ebenfalls sicher, dass sich das Parteiklima für jüdische Labour-Mitglieder verbessert hat. Dennoch warnt er und sagt, es müsse weitere Arbeit geleistet werden, beispielsweise, um bessere politische Bildung gegen Antisemitismus zu sichern.
bildung Luke Akehurst möchte dies auch. Seiner Meinung nach müssten derartige Bildungsprogramme jeden einzelnen Ortsverein der Partei erreichen. »Wir müssen dafür sorgen, dass gerade die Leute in der Mitte verstehen, wie manche Begriffe in der jüdischen Gemeinschaft ankommen«, sagte er der Jüdischen Allgemeinen. Eine von der EHRC empfohlene und auf den Parteitagen beschlossene unabhängige Beschwerdestelle der Partei für Diskriminierung, die bald ihre Arbeit aufnehmen werde, könne da nur helfen.
Für viele ist die Einrichtung einer solchen Stelle eine der wichtigsten Maßnahmen zur Bekämpfung des innerparteilichen Antisemitismus und zur sofortigen Bearbeitung von angezeigten Vorfällen. Unter Corbyn hatten sich dessen Funktionäre genau dagegen quergestellt.
Mike Katz von der JLM glaubt, Juden könnten sich auf Starmer verlassen. Denn das Erste, was Starmer nach seinem Amtsantritt getan habe – damals noch am Anfang der Pandemie –, sei es gewesen, gegenüber der jüdischen Gemeinschaft um Entschuldigung für den Antisemitismus in der Partei zu bitten. Starmer und die Parteiführung seien danach konsequent gegen antisemitische Parteigenossen vorgegangen, »auch wenn die Bearbeitung von noch etwa 5000 Fällen« ausstehe.
DISkriminierung Inzwischen gibt es ein Beratungskomitee zum Thema Antisemitismus, das der Generalsekretär der Partei, David Evans, leitet und dem unter anderem die jüdische Dachorganisation Board of Deputies (BoD) und das Jewish Labour Movement angehören. Auch alle anderen Empfehlungen der EHRC habe Starmer akzeptiert, sagt Katz.
Ganz anders sei es noch zu Zeiten Corbyns gewesen, der sich oft weigerte, auf Forderungen des JLM und anderer jüdischer Gruppen einzugehen. »Wissen Sie«, sagt Katz, »mit dem Antisemitismus ist es auch deswegen vorbei, weil die heutige Parteiführung begreift, dass nur eine Partei regierungsfähig sein kann, die ein sicheres Zuhause für alle ist – auch für jene, die oft unter Diskriminierung leiden.«