Sie ist voll gesellschaftlicher Brisanz, doch bisher nahm die Öffentlichkeit nicht so recht Notiz von einer steuerlichen Änderung, die Amerikas gemeinnützige und religiöse Institutionen in Schwierigkeiten bringen könnte. Denn heimlich, still und leise haben die Republikaner festgelegt, dass Kirchen, Krankenhäuser, Universitäten und andere Organisationen, die bisher von Abgaben befreit waren, künftig 21 Prozent auf geldwerte Vorteile zahlen müssen, die sie ihren Mitarbeitern gewähren – etwa Zuschüsse zu Monatskarten für öffentliche Verkehrsmittel oder anteilig bezahlte Parkplätze.
Abgesehen davon, dass Tausende Non-Profit-Organisationen, die bisher keine Steuererklärungen abgeben mussten, sich künftig mit der unerbittlichen amerikanischen Steuerbehörde IRS auseinanderzusetzen haben, könnte das neue Steuerrecht etwa für kleinere Synagogengemeinden durchaus zur materiellen Bedrohung werden. Deshalb hat sich jetzt eine orthodoxe Organisation mit einem Appell an Finanzminister Steven Mnuchin gewandt, die Umsetzung der Steuerrechtsänderung zu verschieben.
Brief Die Orthodox Union (OU) unterstrich in einem Brief an Mnuchin »ihre Sorge und ihre Vorbehalte gegenüber den vielfältigen, erdrückenden und behindernden Folgen« dieser Steueränderung für ihren Verband, dessen Synagogen, Gemeindeschulen und andere gemeinnützige, religiöse Organisationen.
Nach Angaben der OU könnten die Kosten für bürokratische Anpassungen und Steuererklärungen die Kosten der eigentlichen Steuerabgaben überschreiten. Sie ersuchten Mnuchin, die Umsetzung der Steueränderung zu verschieben, bis der Kongress sich damit befasst, die Anwendung des neuen Steuerrechts auf Kirchen und gemeinnützige Organisationen wieder aufzuheben.
Wahlen Bisher galt die Steuerbefreiung für religiöse Institutionen als sakrosankt – gerade bei Republikanern, die bei den anstehenden Wahlen im November auf die Stimmen frommer Wähler setzen. Und so mutmaßt das politische Fachmagazin »Politico« sarkastisch, dass wohl etliche der Abgeordneten nicht gewusst hätten, was für einer Änderung sie da eigentlich zustimmten. Rund 600 kirchliche Organisationen und Gruppen, so Politico, hätten bereits eine Petition gegen den neuen Steuerparagrafen unterzeichnet.
»Diese beispiellose Änderung des Steuerrechts ist besorgniserregend«, heißt es in dem Schreiben der OU an den Finanzminister, aus dem die jüdische Nachrichtenagentur JTA zitiert. »Gotteshäuser waren seit eh und je von einer Besteuerung ausgenommen, um die Trennung von Kirche und Staat zu gewährleisten, wie es die Umsetzungsklausel des 1. Zusatzartikels der US-Verfassung vorschreibt.« Dieses First Amendment legt neben der Rede- und Pressefreiheit auch die Religionsfreiheit fest.
In einem Rundbrief an Funktionsträger jüdischer Organisationen in den USA appellierte William Daroff, Vizepräsident für öffentliche Politik und Direktor des Washingtoner Büros der Jewish Federations of North America, an seine Kollegen, ihre Kongressabgeordneten anzusprechen und sie dazu zu bewegen, ein Gesetz zu verabschieden, das »diese unfaire Steuerbelastung für Wohlfahrtsorganisationen auf Verkehrsmittel-Zuschüsse für ihre Angestellten« aufhebt.
Abschreibungen So ist aus dem Gesetz, das ursprünglich dazu gedacht war, Abschreibungen von großen Unternehmen zu unterbinden, die etwa freie Mahlzeiten und andere Gratifikationen für ihre Mitarbeiter steuerlich geltend machen konnten, ein gesellschaftspolitischer Bumerang geworden.
Denn im Bestreben, auch gemeinnützige Organisationen nach dem Gleichbehandlungsprinzip mit Abgaben zu belasten, wurde zunächst nicht bedacht, dass man ja bei Organisationen, die keine Steuern zahlen, auch keine Nebenleistungen steuerlich geltend machen kann. Dann folgte die Idee, eine Art Mehrwertsteuer in Höhe von 21 Prozent auf die geldwerten Vorteile der Mitarbeiter gemeinnütziger Institutionen zu erheben – ein echter Schildbürgerstreich.