USA

Porträts und Straßenschluchten

Das Porträt ist die liebste Disziplin der Fotografie: Doch nirgendwo lügt die Fotografie mehr als in der Porträtkunst. Und das schon lange vor der Erfindung digitaler Manipulationstechniken.

Dem amerikanischen Fotografen Abe Frajndlich geht es hingegen um Wahrheit oder Authentizität. Um jenen Moment, den sein Kollege Henri Cartier-Bresson als »magisch« beschrieben hat. Frajndlich ist in Deutschland nicht unbekannt. Vor einigen Jahren waren seine Bilder im Jüdischen Museum in Frankfurt am Main zu sehen.

In jener Stadt wurde Frajndlich 1946, ein Jahr nach Ende der Schoa, im DP-Camp Zeilsheim geboren. Dort warteten nach der Schoa zeitweise bis zu 5000 befreite Juden auf die Auswanderung. Unter ihnen Abraham Frajndlich, der bis zum Alter von zwei Jahren in Zeilsheim blieb.

Der Band enthält ausschließlich Schwarz-Weiß-Bilder und präsentiert die ganze Bandbreite urbaner Fotografie.

Seine Familie, die ursprünglich aus der Nähe von Lodz stammte, wanderte nach Israel und später nach Porto Alegre in Brasilien aus. Nach dem Tod der Eltern kam Frajndlich nach Cleveland in Ohio. Nach Polnisch, Deutsch, Jiddisch, Hebräisch, Französisch und Portugiesisch wurde Englisch die siebte Sprache, in der Frajndlich sprechen lernte. »Der Krieg hat viele ungewöhnliche Biografien geschaffen«, sagte Frajndlich in einem Interview der »Frankfurter Neuen Presse« bei einem Besuch in Zeilsheim im Jahr 2003.

Ausbildung Nach einem Literaturstudium und einem Kurzbesuch an einer medizinischen Hochschule schließt Frajndlich sein Anglistik-Studium in Evanston ab. Bald sorgt der Besuch eines Seminars bei dem berühmten Fotografen Minor White für eine Wende in Frajndlichs Leben. Drei Jahre arbeitet er als Schüler von White. Die Fotografie wird zur großen Leidenschaft und zu seinem Lebensweg. Die Beziehung zu White hat Frajndlich in einem Band mit Porträt-Aufnahmen in Bilder gegossen: Lives I’ve Never Lived.

Angeregt von White begann Frajndlich mit der Serie »Masters Of Light«, einer Porträtserie über Fotografen. Bald ließen sich auch Autoren, Künstler, Architekten und Musiker von ihm fotografieren. Seit 1984 lebt und arbeitet Frajndlich in New York. Vergangene Woche ist in Deutschland sein neues Fotobuch New York City erschienen. Darin zeigt er, wie eng er bis heute mit der Stadt verbunden ist, die er als seine Muse bezeichnet. Der Band enthält ausschließlich Schwarz-Weiß-Bilder und präsentiert die ganze Bandbreite urbaner Fotografie: Monumentale Architekturbilder von Straßenschluchten und spiegelnden Fassaden von Skyscrapern (mitunter solche, wie man sie auch von vielen anderen New-York-Fotografen kennt) treffen hier auf Bilder, die ein in die Jahre gekommenes New York der Nebenstraßen zeigen. Spontane, auf der Straße fotografierte Porträts mischt Frajndlich mit stärker inszenierten Bildnissen.

Imagination Als »Liebeserklärung« versteht der Fotograf seine New-York-Bilder, an denen man auch die Veränderungen ablesen kann, die die Metropole in den vergangenen Jahren in immer wieder neuem Licht zeigten. »Ich fand Fiktionen schon immer spannender als Realitäten. Doch es gibt auch Momente im Alltag, die sehr geheimnisvoll sein können. Für mich ist die Fotografie die Kraft der Imagination und der Information«, so hat es Frajndlich einmal formuliert.

Der Fotograf versteht seine New-York-Bilder als »Liebeserklärung«.

Frajndlich ist ein Kind der visuellen Kultur des 20. Jahrhunderts, ein Liebhaber der Fotogeschichte – und so finden Fotoliebhaber auch in diesem Buch viele Anspielungen auf die Geschichte der Fotografie. »Ohne ein Fundament kann man nicht bauen«, sagt Frajndlich. »Die Geschichte der Fotografie ist sehr kurz, dadurch aber auch besonders gut zugänglich.«

Dies spiegeln auch seine New Yorker Porträts wider: Sie sind skurril, haben Humor. Doch was bedeutet Humor für Abe Frajndlich? Er hat es einmal so ausgedrückt: »Wenn man über Humor spricht, ist es eigentlich schon zu spät. Aber ich will Ihnen erzählen, was der Schriftsteller Erwin Leiser über den jüdischen Humor gesagt hat. Er sagte über mein Foto von Isaac Bashevis Singer, dass es den Juden des 20. Jahrhunderts symbolisiere: Wenn es regnet, hat er einen Schirm, wenn die Sonne scheint eine Sonnenbrille. Und weil er oft abhauen muss, hat er Turnschuhe an. Aber über meinen eigenen Humor kann ich wirklich nichts sagen.«

Jürgen B. Tesch (Hrsg.): »Abe Frajndlich – New York City«. Hirmer, München 2020. 144 S., 34,90 €

USA

Loyal und radikal

Der künftige Präsident Donald Trump vergibt wichtige Ministerposten an Personen, die bislang nicht durch Kompetenz aufgefallen sind, sondern eher durch Kontroversen von sich reden machten

von Michael Thaidigsmann  21.11.2024

Nachruf

Der Vater des Budget-Tourismus ist tot

Arthur Frommer wurde 95 Jahre alt

von Imanuel Marcus  20.11.2024

New York/Malibu

»Mein Name ist Barbra«

Die Streisand-Autobiografie erscheint auf Deutsch

von Christina Horsten  20.11.2024

Schweiz

Konservative Christen gegen den ESC

Eine Minipartei erwirkt ein Referendum gegen das hohe Rahmenbudget für den Eurovision Song Contest. Dabei geht es auch um Israel

von Peter Bollag  19.11.2024

Italien

Schoa-Überlebende rügt Papst für Genozid-Kommentar

Edith Bruck ist 93 Jahre alt und mit Papst Franziskus befreundet. Jetzt hat sie ihn aber mit deutlichen Worten kritisiert

 19.11.2024

Medien

Ausweitung der Kampfzone

Die israelfeindlichen Täter haben die »NZZ« ganz bewusst zum Abschuss freigegeben. Ein Kommentar

von Nicole Dreyfus  19.11.2024

Tschechien

Oscar-reifer Held am Mikrofon

»Wellen« feiert den KZ-Überlebenden Milan Weiner, der 1968 die Sowjets in Schach hält

von Kilian Kirchgeßner  17.11.2024

USA

Impfgegner, Verschwörungstheoretiker, Gesundheitsminister

Donald Trump beruft mit Robert F. Kennedy einen Mann als Gesundheitsminister, der auch durch antisemitische Verschwörungstheorien von sich reden macht

von Michael Thaidigsmann  15.11.2024

Imanuels Interpreten (1)

Flora Purim: Das Unikum

Die in Rio de Janeiro geborene Sängerin liefert eine einzigartige Melange der Klänge

von Imanuel Marcus  15.11.2024