Zum ersten Mal in der Geschichte der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB) steht mit Stefanie »Steffi« Bollag eine Frau an der Spitze des Vorstands. Aufgrund eines fehlenden Gegenkandidaten gab es keinen Urnengang (stille Wahl). Die 67-Jährige trat im Juni ihr Amt an und folgt damit auf Emmanuel Ullmann, der sich nach einer zweiten Amtsperiode nicht mehr für das Amt des Gemeindepräsidenten zur Verfügung gestellt hat.
Für Bollag sei die Wahl gerade zum richtigen Zeitpunkt gekommen, wie sie gegenüber dieser Zeitung sagte: »Es war eine logische Folge, nach der Vizepräsidentin nun Präsidentin zu werden.« Die Entscheidung, im IGB-Vorstand tätig zu werden, sei jedoch schon in der Pandemie gefallen. Durch den damaligen Rückgang der sozialen Kontakte sei die Vorstandsarbeit für sie genau die richtige Sache gewesen. »Jetzt passt es, und jetzt möchte ich etwas dazu beitragen«, habe sie damals gedacht.
Eine Präsidentin muss zuhören
Dass mit ihr nun eine Frau an der Spitze der Basler Einheitsgemeinde steht, sieht die gebürtige Baslerin zwar als historischen Moment, doch stellt sie auch klar, dass es ihr um die Sache gehe: »Es kommt auf die Inhalte an«, und sie sei vor allem an den »856 Meinungen dieser Gemeinde interessiert«. Denn die Menschen stünden an erster Stelle. Diese wolle sie als Präsidentin hören, »damit sie mit ihrer Gemeinde zufrieden sind«. »Und von allen religiösen Richtungen akzeptiert zu werden, ist für mich auch sehr wichtig.«
Zu oft habe sie Negatives gehört, es sei an der Zeit, »dass die Leute lächeln und sich freuen, wenn sie an die Gemeinde denken«. Denn in dieser Gemeinde »läuft viel«. Aber natürlich sei sie nicht blauäugig. Die profilierte Geschäftsfrau weiß um die bestehenden Probleme, wie das der Abwanderung und der Überalterung. Von den 856 Mitgliedern sei ein großer Teil über 60 Jahre alt. Und: »Basel ist die Herzl-Stadt. Das zionistische Denken führte seit jeher dazu, dass sich die jungen Menschen nach Israel hingezogen fühlten und auswanderten.«
Es gelte nach wie vor, die Jüngeren abzuholen.
Es gelte daher nach wie vor, die Jüngeren abzuholen. »Viel wurde in den vergangenen Jahren unternommen. Aber wir müssen als jüdische Institution ständig unsere Infrastruktur überdenken und sie allenfalls der Mitgliederzahl anpassen.« Ihr Fünfjahresziel lautet: Herausforderungen der Gemeinde antizipieren und optimistisch bleiben. In der Hoffnung, dass sich die Leute wieder in Basel niederlassen.
Immerhin konnte sich die Gemeinde, die in jüngerer Vergangenheit finanziell angeschlagen war, erholen. »Wir stehen derzeit auf soliden finanziellen Beinen. Die vergangenen Jahre waren von Sparmaßnahmen geprägt, was die Gemeinde mittlerweile wieder finanziell auf Kurs gebracht hat.« Auch vor diesem Hintergrund bleibt Bollag realistisch. »Die nächsten fünf Jahre müssen auch in dieser Hinsicht so erfolgen, ohne dass wir unsere Dienstleistungen zu sehr straffen müssen«, sagt die Frau mit jahrzehntelanger Managementerfahrung.
Kind der Gemeinde
In Basel aufgewachsen, arbeitete Bollag zunächst als Pflegefachfrau und Hebamme und wechselte später in die Gerontologie. Langjährige Tätigkeiten als Geschäftsführerin von Seniorenresidenzen in Wien und München führten sie vor 20 Jahren wieder zurück nach Basel, wo sie bis 2023 als Direktorin im Altersheim Humanitas wirkte.
Obwohl das IGB-Präsidium schon fast als »ehrenamtlicher Vollzeitjob« gilt, ist sie nach wie vor in leitender Position im Seniorenzentrum SIKNA in Zürich tätig. Ihr Herz gehöre jedoch nach Basel, wo sie als »Kind der Gemeinde« bereits von Anfang an beobachtete, wie ein Altersheim geführt wurde, weil ihr Vater 32 Jahre lang als Küchenchef und Mitglied der Geschäftsleitung des jüdischen Alters- und Pflegeheims La Charmille tätig war. »Ich liebe ältere Menschen«, resümiert sie. Eine jüdische Gemeinde umfasse alle Alterskategorien, aber ihre Führungsexpertise wolle sie selbstverständlich auch in ihrer Funktion als Präsidentin einbringen. Und vielleicht sei es von Vorteil, dass sie als Frau in dieser Rolle fungiere.