Beruflich sind für Juana Szpigiel die Vorbereitungen für Pessach 5774 seit einem halben Jahr abgeschlossen. Im November lief zum letzten Mal der Ofen, in dem sie die Mazzot bäckt. Juana Szpigiel, von ihren Freunden nur Juanita, »kleine Johanna«, gerufen, ist Inhaberin der Koscher-Bäckerei Gebrüder Yanovsky in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires.
»Wir sind die Einzigen in Lateinamerika, die Mazzot unter Aufsicht des Rabbinats produzieren«, sagt die 64-jährige Geschäftsfrau. »Einen Großteil der Produktion exportieren wir in die USA.« Aber auch in Länder Südamerikas wie Chile, Uruguay, Paraguay und Brasilien werde Mazze »Made in Argentina« verkauft. Damit die Ware pünktlich in den Koscher-Läden angeboten werden kann, »müssen die Container mit der Mazze frühzeitig verschifft werden«, sagt Szpigiel. Für die Versorgung von jüdischen Patienten in Krankenhäusern wird übrigens runde Mazze in Dosen angeboten.
»Wir planen immer mehr als ein Jahr im Voraus.« Für den Verkauf von Mazza Schemura ist es wichtig, dass sowohl die Zutaten als auch der Produktions- und Verpackungsprozess von Anfang bis zum Ende vom Rabbinat überwacht werden. Bereits Aussaat und Ernte erfolgen unter Berücksichtigung der Kaschrut, erzählt die Mazze-Bäckerin. Der Weizen, direkt nach der Ernte eingekauft, wird in Gegenwart eines Maschgiachs eingelagert, der alles überwacht.
Transport Die kontrollierte Produktion für das diesjährige Pessachfest begann bereits vor mehr als einem Jahr. Nach Ende der einjährigen Lagerungsfrist wurden die Weizenkörner in einer Mühle verschrotet, die zuvor komplett auseinandergenommen worden war, um zu verhindern, dass alte Getreidereste in die neue Produktion geraten. »Trotzdem verwenden wir die ersten 100 Säcke nicht für unsere Mazza Schemura«, sagt Szpigiel. Auch für den Transport der Ware werden nur Fahrzeuge verwendet, die der Maschgiach freigegeben hat.
In der zweigeschossigen Hinterhausfabrik lagert man das Mehl noch einmal 72 Stunden, bevor sich die Maschinen zu drehen beginnen. Das Wasser wird am Vorabend gefiltert, dann bleibt es über Nacht stehen. Jeden Schritt überwachen ein Rabbiner und fünf Maschgichim.
Der eigentliche Herstellungsprozess ist dann ein Wettlauf mit der Zeit: Zwischen dem Teigkneten, der Formgebung und dem Backen der Mazzot dürfen höchstens 18 Minuten vergehen. Danach müssen Rührschüsseln, Backgeräte und der Ofen wieder gereinigt und vom Maschgiach für einen neuen Arbeitsdurchgang freigegeben werden. Aufwendig und kostspielig sei die Mazze-Herstellung, sagt Szpigiel, die seit fast zwei Jahrzehnten das ungesäuerte Brot produziert. Zwei ihrer bereits erwachsenen Töchter helfen ihr in der Firma.
Wirtschaftskrise Wie alle Argentinier muss sich auch Juana Szpigiel mit den vielen Widrigkeiten des täglichen Lebens herumschlagen. Seit das Land unter der Wirtschaftskrise leidet, sind Energieversorgungslücken nichts Ungewöhnliches. Es komme vor, dass plötzlich für mehrere Stunden der Strom ausfalle, sagt Szpigiel. »Der Teig verdirbt dann und muss weggeworfen werden. Das kostet Nerven – und Geld.«
Für das diesjährige Pessach hat Szpigiels Mazze-Bäckerei in der Calle Acevedo im Stadtteil Villa Crespo rund 36 Tonnen ungesäuertes Brot in Form der hauchdünnen Scheiben hergestellt, in Cellophanpapier eingeschweißt, in Kartons abgepackt und ausgeliefert. Die Tagesproduktion liegt bei 80 Kartons, in jedem liegen zwölf Mazzescheiben. Verkauft wird die koschere Ware unter den Produktnamen »Yanovsky«, »Jerushalem« und »Shemot«.
Die 1905 gegründete Bäckerei Gebrüder Yanovsky hat sich in mehr als 100 Jahren als einziger Mazzothersteller in Argentinien einen Namen gemacht. Als Juana Szpigiel das Unternehmen vor 20 Jahren kaufte, war für sie die strikten Auflagen unterliegende Produktion absolutes Neuland. Zehn Jahre zuvor hatte die umtriebige Geschäftsfrau, deren Vorfahren einst aus Osteuropa kamen, mit der Herstellung von Kuchen, Torten und Keksen begonnen. Am Anfang backte sie nur für den Bekanntenkreis. Doch als die Nachfrage stieg, mietete sie Räume an, um ihr süßes Gebäck in größeren Mengen herzustellen. »Später fing ich dann an, meine Waren in Supermärkten anzubieten – mit Erfolg«, sagt sie. Heute gehören Bagels, Strudel und Kuchen nach deutschen Rezepten zu Szpigiels Produktpalette.
Die Beliebtheit koscherer Produkte in Argentinien habe geholfen, eigene Produkte billiger als Importware in den Läden anzubieten. »Inzwischen sind wir ein Großhandel für koschere Produkte und betreiben auch Catering«, sagt Szpigiel. Als vor 20 Jahren der frühere Besitzer der Yanovsky-Bäckerei aus Altergründen das Geschäft aufgeben wollte, habe ihr Vater ihr zum Kauf des Unternehmens geraten, erzählt sie. »Mit dieser Fabrik wirst du niemals verhungern. Vertrau mir!«, habe er immer wieder gesagt.
Konkurrenz Bis heute hat Doña Juanita die Übernahme der Mazzotfabrik nicht bereut, auch wenn sich die Wirtschaftskrise und die israelische Konkurrenz seit zwei Jahren bemerkbar machen und sich internationale Handelsbeschränkungen auch auf den Export von Mazzot auswirken. Nach wie vor sind Yanovsky-Mazzot in jüdischen Familien in Argentinien beliebt. Und längst haben sich auch andere Abnehmer gefunden: Besonders bei gesundheitsbewussten Verbrauchern und solchen, die gern abnehmen möchten, sind Szpigiels kalorienarme Cracker inzwischen beliebt. Im Morgenmüsli landen anstatt Cornflakes immer öfters Mazzebröckchen. Für Pessach bietet Yanovsky sogar Frühstücksflocken an, die koscher lePessach sind.
Schon in zwei Monaten wird die Mazzeproduktion für das kommende Jahr beginnen. Aber so weit denkt Juana Szpigiel noch nicht. Derzeit habe die Familie nur ein Problem: »Die Büros im Vorderhaus und die Produktionsstätte sind längst gesäubert. Aber jetzt müssen wir unsere Wohnungen putzen, damit sie zu Pessach chametzfrei sind.«
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