Kroatien

70.000 Touristen, aber kein Minjan

Wenige Meter vor dem Pile-Tor an der Ostseite der Wehrmauern um Dubrovniks Altstadt plätschert Trinkwasser in einem Brunnen. Einheimische, aber vor allem Touristen schöpfen gern daraus. Die wenigsten allerdings wissen, dass sie am sogenannten Jüdischen Brunnen haltmachen. Er ist einer der wenigen steinernen Zeugnisse einer großen Vergangenheit, die mit dem Zuzug der ersten Juden von der Iberischen Halbinsel nach Ragusa, wie Dubrovnik einst hieß, im frühen 14. Jahrhundert begann.

Garry und Nicky Novis, ein jüdisches Ehepaar aus Australien, hat diesen Brunnen aus hellem Marmor gezielt aufgesucht. Die beiden sind auf jüdischen Spuren unterwegs durch Europa. Ihre Vorfahren kommen aus Polen und Lettland, in Dubrovnik waren sie vermutlich nie. Doch Garry und Nicky Novis wollen diese Stadt unbedingt sehen. Nach einer kurzen Wegstrecke vom Pile-Tor über die glatt polierten Pflastersteine des Stradun, der größten Hauptstraße in der Altstadt von Dubrovnik, zweigt die Ulica Zudioska (Judengasse) ab. Dort befindet sich die Synagoge.

Museum Garry setzt sich seine Kippa auf. Gemeinsam mit seiner Frau steigt er die enge, steile Treppe bis ins erste Stockwerk. »Dobar dan!«, begrüßt Alma an ihrem Tischchen freundlich die Besucher auf Kroatisch und wechselt in fließendes Englisch. Sie gibt erste Informationen über die Synagoge aus dem Jahr 1546. Nach der in Prag ist es die zweitälteste sefardische Synagoge in Europa. An sie angeschlossen ist ein jüdisches Museum, das einzige in Kroatien. Man zeigt Torarollen aus dem 13. bis 17. Jahrhundert, seidene Toramäntel und silberne -kronen. Archivalien belegen die jahrhundertelange Geschichte der Juden in der Stadt. Und eine Abteilung ist dem Gedenken an die Opfer der Schoa gewidmet.

Die beiden Australier wollen gern mehr erfahren: Wie viele Juden leben heute in Dubrovnik? Gibt es einen Rabbiner? Alma lächelt entschuldigend. »Ich bin Muslimin und bei der jüdischen Gemeinde angestellt«, sagt sie und fügt hinzu, sie sei nicht befugt, mehr aus der Geschichte der Juden und über das Museum zu erzählen. Mit dem Zeigefinger weist sie zur Treppe in den Betsaal und sagt: »Andreja ist oben!«

Andreja, eine junge Frau mit brünettem Haar und fröhlich blitzenden Augen ist autorisiert zu sprechen, denn sie gehört der Gemeinde an. Umringt von Touristen steht sie vor der Bima und beantwortet die vielen Fragen, die auf sie einprasseln. Ja, sie sei eine echte Dubrovnikerin, und ihr Vater sei der Vize-Präsident der Gemeinde. Ihre Großeltern überlebten das von den Nazis errichtete KZ auf der Insel Rab.

rabbiner Und dann verblüfft Andreja ihre Zuhörer. Sie schildert das Leben der Dubrovniker Juden: »Wir sind nur 54 Personen und überwiegend Frauen, die mit Nichtjuden verheiratet sind. Seit dem Holocaust haben wir keinen eigenen Rabbiner mehr.« Nur an den Hohen Feiertagen und an Pessach kommt ein Rabbiner aus der Hauptstadt Zagreb. Aber auch nur dann, wenn es sich mit seinen weiteren Verpflichtungen in den anderen jüdischen Gemeinden Kroatiens vereinbaren lässt, denn in den Synagogen in Rijeka und Split erwarten die Beter ebenfalls, dass man sich um sie kümmert.

So wie der Rabbiner ist auch die Gemeindevorsitzende Sabrina Horovic nur selten in Dubrovnik, denn sie hat im 140 Kilometer nördlich gelegenen Mostar eine Professur inne. »Es ist alles sehr schwierig«, bekennt sie bei einem ihrer kurzen Aufenthalte in der Stadt.

In den Sommermonaten, wenn die Touristen die Stadt förmlich überfluten, lädt die chassidische Bewegung Chabad Lubawitsch am Schabbat in ein Hotel außerhalb der Altstadt zum Gebet ein. Gäste aus aller Welt nutzen diese Gelegenheit. Die einheimische Gemeinde betrachtet das Angebot eher distanziert.

Infrastruktur Um die jüdische Infrastruktur ist es in Dubrovnik nicht gut bestellt. Es fehlen ein koscheres Restaurant und ein Koscherladen. Alles muss aus Zagreb oder Wien herbeigeschafft werden. »Der nächste jüdische Kindergarten und eine Schule sind in Zagreb«, erzählt Andreja. Auch eine Mikwe gibt es in Kroatien bislang nicht. Wer ins Tauchbad steigen will, muss nach Triest oder Budapest fahren. Doch diese Reisen werden bald nicht mehr nötig sein, denn Ende des Jahres soll in Zagreb eine Mikwe eröffnen.

Andreja weist auf ein weiteres Problem hin: »Ich finde hier in Dubrovnik keinen Juden zum Heiraten«, sagt sie und lacht. Ob sie deshalb angefangen habe, in Zagreb Italienisch zu studieren, möchte ein amerikanischer Tourist wissen. »Nun ja«, wiegt Andreja vielsagend den Kopf.

Jedes Jahr besuchen fast 70.000 ausländische Touristen die Synagoge in der Ulica Zudioska. Viele tragen sich ins Gästebuch ein: »Schalom« wünschen Argentinier, Amerikaner, Israelis oder Deutsche.

Frieden scheint in Dubrovnik durchaus zu herrschen, zumindest zwischen den Religionen: »Es gibt bei uns keinen Antisemitismus«, sagt Andreja. Eine Ursache dafür sieht Dubrovniks Bürgermeister Andro Vlahusic in dem Wertesystem, das man von den Altvorderen der einstigen Stadtrepublik Ragusa geerbt hat. Dazu gehören nicht nur das freundschaftliche Zusammenleben und das zugrunde liegende Prinzip der Freiheit, sondern auch die Toleranz. »Bei uns pflegen Juden, Christen und Muslime diesen Geist«, sagt der Bürgermeister und wirkt sichtlich stolz.

Sefardisch Die beiden Australier Garry und Nicky Novis haben sich für die Besichtigung der Synagoge viel Zeit gelassen. »Wir kennen viele Bethäuser in Europa, aber dieses ist besonders schön mit der blauen, typisch sefardischen Decke«, sagen sie. Ihre Blicke schweifen über die Ausstattung im italienischen Barock, die Bankreihen an den Seitenwänden aus dunklem Holz, den Toraschrein mit den gedrechselten Säulen und die unzähligen Kronleuchter. Deutlich sichtbar sind noch die vergitterten Fenster der Mechiza, hinter denen sich einst die Frauenemporen befanden. Jetzt sind dahinter die Mauern der Nachbarhäuser. Die im 19. Jahrhundert an die Rückwand verlegte Empore wird belebt, »wenn der Rabbi kommt und zu uns Frauen sagt: ›Ihr müsst da rauf‹«, erzählt Andreja.

Ihre Kollegin Alma ist derweil an ihrem Tischchen sitzen geblieben, hat fleißig Eintrittskarten verkauft und immer ein wachsames Auge auf die Bildschirme vor ihr gerichtet. Denn wie in den meisten Städten Europas müssen auch in Dubrovnik jüdische Einrichtungen bewacht werden.

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