Zum ersten Mal gibt es jetzt eine Landkarte, auf der genau verzeichnet ist, wo Juden in Amerika leben. Die Angaben sind aufgeschlüsselt bis auf die Ebene des County, also der Distrikte, in die die amerikanischen Bundesstaaten von Florida bis Alaska, von Kalifornien bis Massachusetts unterteilt sind. Wir verdanken diese Karte der North American Jewish Data Bank des Mandell L. Berman Institute, das sie in Auftrag gegeben hat. Erstellt wurde sie von dem Geografen Joshua Comenetz von PopulationMapping.com.
Auf den ersten, noch etwas flüchtigen Blick hält diese Landkarte kaum Überraschungen bereit. Juden siedeln also vor allem an den Küsten. In der Mitte Amerikas – die aber ohnehin beinahe menschenleer ist – findet man kaum jüdische Siedlungsgebiete. Die beiden wichtigsten Ballungszentren liegen von Washington nordwärts bis Boston an der Ostküste und von San Diego bis San Francisco im Westen.
Ein paar dunklere Flecken erblickt man noch um Portland und Seattle herum. Dann sind da die alten Industriestädte Amerikas: Pittsburgh in Pennsylvania, die Zwillingsstädte Minneapolis und St. Paul in Minnesota und natürlich Chicago. Auch dort findet man bedeutende jüdische Gemeinden. Und dann sind da die jüdischen Gegenden in Florida (vor allem Miami Beach) und die alten Gemeinden in den Südstaaten wie in Atlanta, die in den vergangenen Jahrzehnten durch Zuzügler verstärkt wurden.
überraschung Hier nun aber die Überraschungen. Comenetz schätzt, dass es heute 6,74 Millionen jüdische Amerikaner gibt. Hier darf man ungläubig eine Augenbraue lüften. So viele! Die meisten Statistiker gehen davon aus, dass die Zahl sich knapp oberhalb der fünf Millionen bewegt (und dass es in Zukunft immer weniger amerikanische Juden geben wird – 50 Prozent heiraten nichtjüdische Partner).
Die zweite Überraschung ist, dass man Juden in Amerika an sehr merkwürdigen Orten findet. Rund 1500 leben in Kalamazoo County im Süden von Michigan, 100 in Livingston County unterhalb von Rochester im Norden des Bundesstaats New York und immerhin noch 50 in Stewart County, Texas. Was tun die da? Wie lebt es sich als Jude in diesen ländlichen Gebieten? Wie gestalten sich die Beziehungen zu den nichtjüdischen Nachbarn? Wo bekommt man sein koscheres Fleisch her? Wie weit ist es bis zur nächsten Synagoge?
Man kann fragen, was aus alldem folgt; und ob überhaupt etwas daraus folgt. Alex Joffe meint in einem Beitrag auf der Webseite »Jewish Ideas Daily«, es sei engstirnig, wenn die innerjüdische Diskussion sich in Amerika immer nur auf die Juden an der Küste konzentriere. In Zukunft müsse man mehr darauf hören, was etwa die Juden in Kalamazoo County zu sagen hätten.
Allerdings widerspricht sich Joffe im nächsten Absatz. Er schreibt, der Trend gehe wohl eher dahin, dass die Juden sich in den urbanen Siedlungsgebieten konzentrieren und aus den kleineren Gemeinden wegziehen.
Der andere Trend ist die Assimilation. Im Jahr 1960 schätzte das American Jewish Year Book, dass es 5,37 Millionen Juden gibt. 179 Millionen Amerikaner gab es damals insgesamt. Bis heute ist diese Zahl auf beachtliche 310 Millionen gewachsen, die Zahl der Juden dagegen ist kaum gestiegen. Alle statistischen Voraussagen weisen deshalb in dieselbe Richtung: Künftig werden sehr viel weniger Juden in Amerika leben, und diese wenigen Juden werden ziemlich fromm sein.
Politik Eine andere Frage, die man sich anhand dieser Landkarte neu stellen kann, betrifft die politische Einstellung. Warum wählen amerikanische Juden beharrlich die Demokraten und denken sehr linksliberal? Die Erklärung des neokonservativen Norman Podhoretz (Why Are Jews Liberals?, 2009) war, dass Juden dabei halb von einer urwüchsigen Furcht vor dem Christentum getrieben seien, einer Erinnerung an die Pogrome der Alten Welt – halb aber auch von der spirituellen Leere in ihrem Inneren. Der Linksliberalismus sei ihre Ersatztheologie, die New York Times ihre neue Tora.
Vielleicht ist die Erklärung aber viel einfacher, wie Alex Joffe auf Jewish Ideas Daily konstatiert: Juden sind meistens so wie ihre Umgebung. Dass amerikanische Juden Demokraten sind, läge demnach vor allem daran, dass sie in Gegenden leben, wo überhaupt demokratisch gewählt wird. Würden Juden stattdessen in großer Zahl in den konservativen »Red States« leben, würden sie womöglich auch für Familienwerte und gegen die Abtreibung eintreten, die Homosexuellenehe ablehnen, Handfeuerwaffen besitzen und der Republikanischen Partei ihre Stimme geben.