USA

100 Jahre jüdische Coolness

»Diese Stimme, diese Augen, dieses großartige Gesicht«, schwärmte Anjelica Houston, als sie Lauren Bacall 2009 den Ehren-Oscar überreichte. Doch hat Hollywoods ultimative Femme Fatale, die Humphrey Bogart einst das Pfeifen beibrachte, damit er sie rufen könne, wenn er Hilfe brauche – so die ikonische Szene in To Have and Have Not –, dem Film-Olymp etwas gegeben, was er bisher kaum kannte: Widerworte.

Bacall war nicht nur schön, glamourös und geheimnisvoll, sie stand in hyper-patriarchalen Zeiten auch für ein ungewöhnliches Frauenbild, für Unabhängigkeit, Ehrlichkeit, Humor und Stärke.

Stark und stolz

Letzteres habe sie vor allem ihrer Familie zu verdanken, verriet Bacall in ihren Memoiren By Myself, die 1978 erschienen sind. Die Wärme und unbedingte Unterstützung durch ihre jüdisch-rumänische Familie habe ihr Aufwachsen geschützt: »Wenn ich auf mein bisheriges Leben zurückblicke, ist das Gefühl der jüdischen Familie stark und stolz präsent. Und endlich kann ich sagen, dass ich froh bin, daraus hervorgegangen zu sein. Ich würde diese Wurzeln, diese Identität, niemals eintauschen wollen.«

Aber verstecken musste sie sie. Gleich beim ersten Film, der auch ihr Durchbruch in Hollywood sein sollte: die Hemingway-Verfilmung To Have and Have Not. Und zwar vor dem Regisseur Howard Hawks, der das gerade einmal 19-jährige Model zwar entdeckte und formte, der aber auch ein bekannter Antisemit war. »Ich hatte eine Höllenangst vor ihm«, verriet Bacall einmal im Gespräch mit der »New York Times«. Dass sie damals nichts gesagt habe, nehme sie sich bis heute übel.

»Sie ist authentisch! Du wirst dich in sie verlieben, wie alle anderen auch.«

Humphrey Bogart

Als Model hatte sie bereits einen Job verloren, nachdem sie sich als Jüdin zu erkennen gegeben hatte. »Ich habe es nie wirklich verstanden und habe die erste Hälfte meines Lebens damit verbracht, mir darüber Gedanken zu machen.« Dazu gehörte denn auch die Entscheidung, sich einen »amerikanischeren« Künstlernamen zuzulegen. Gleich zu Beginn ihrer Karriere wurde aus Betty Perske aus der Bronx das Traumfabrikwesen Lauren Bacall. Allerdings bestand sie auf das Jüdische. Sie hatte es im Mädchennamen ihrer Mutter gefunden: Natalie Weinstein-Bacal.

Die Dreharbeiten zu To Have and Have Not, dessen Figuren ein bisschen an Casablanca erinnern, waren auch der Beginn der großen Liebesgeschichte zwischen Bacall und Bogart. Um sicher zu gehen, dass sie mit ihm keine hässlichen Überraschungen erleben würde, sagte Bacall ihm unumwunden, dass sie Jüdin sei. »Natürlich war er der letzte Mensch auf Erden, den das gestört hätte«, schrieb sie später. Absurderweise soll es am Set schließlich noch Streit zwischen dem Regisseur und Bogart gegeben haben, weil auch Hawks Bacall verfiel. »Sie ist authentisch! Du wirst dich in sie verlieben, wie alle anderen auch«, soll Bogart einmal über seine junge Frau gesagt haben.

»Er gab mir ein Leben«, bedankte die sich in ihrer Ehren-Oscar-Rede bei ihrem Ehemann für knapp zwölf Jahre, in denen sie mit ihm weitere Film-Klassiker wie The Big Sleep und Key Largo drehte. Tragischerweise starb Bogart 1957 mit nur 57 Jahren an Krebs. Und die junge Witwe und Mutter zweier Kinder musste sich ein neues Leben aufbauen.

Mit Gary Cooper und Marilyn Monroe

Da war sie bereits ein etablierter Filmstar, hatte mit Gary Cooper in Bright Leaf (1950) gedreht, erneut als Femme Fatale in Young Man with a Horn (1950) neben Kirk Douglas überzeugt und im Boxoffice-Hit How to Marry a Millionaire (1953) neben Marilyn Monroe und Betty Grable die Hauptrolle gespielt.

Weil Bacall Drehbücher ablehnte, die sie uninteressant fand, galt sie bald als »schwierig«. Ihrem Starstatus tat es allerdings keinen Abbruch. Bis heute gilt Filmhistorikern Douglas Sirks Melodram Written on the Wind (1956), in dem Bacall neben Rock Hudson spielte, als bahnbrechend.

Nach Bogarts Tod zog sie nach New York und machte sich mit unermüdlicher Bühnenarbeit einen Namen am Broadway. Sie versuchte es Anfang der 60er-Jahre mit einer zweiten Ehe, die jedoch 1969 scheiterte. 1970 gewann sie mit ihrem Auftritt in Applause ihren ersten Tony Award als beste Schauspielerin in einem Musical. »Es verschlägt einem den Atem«, begeisterte sich die »New York Times«. Den zweiten Tony Award gab es 1981 für Woman of the Year.

Nebenbei drehte sie weiter Filme, meist Starvehikel mit Kollegen wie Henry Fonda, Tony Curtis, Paul Newman und Janet Leigh, und 1974 den Agatha-Christie-Klassiker Mord im Orient-Express neben Ingrid Bergman, Vanessa Redgrave und Sean Connery.

Verwandtenbesuch in Israel

1984 nutzte sie einen Dreh in Israel, um einen unerwarteten Verwandten zu treffen, und zwar niemand Geringeren als Schimon Peres. Bacalls Eltern hatten sich scheiden lassen, als die einzige Tochter sechs Jahre alt war, und sie war für den Rest ihres Lebens nicht gut auf ihren Vater zu sprechen. Bis sie erfuhr, dass Israels damaliger Premier väterlicherseits ebenfalls Perske als Familiennamen trug. Sie sollen Cousins gewesen sein.

1990 war sie in Rob Reiners Stephen-King-Adaption Misery zu sehen, 1994 in Robert Altmans Prêt-à-Porter, und sie ließ sich langsam auf TV-Rollen ein.

1996, da war Bacall 72 Jahre alt, bat Barbra Streisand sie, ihre Mutter zu spielen in The Mirror has two Faces. Die Rolle sorgte für eine Oscar-Nominierung als beste Nebendarstellerin, und das Branchenblatt »Variety« freute sich über »Bacall, die posiert, mit den Augen rollt und mit vollendetem Geschick Sprüche raushaut«. Drei Jahre später kürte das American Film Ins­titute Lauren Bacall zu einer der 25 bedeutendsten Leinwandgöttinnen der Filmgeschichte.

Und die machte einfach immer weiter, mit ungestillter Neugier, auch im neuen Jahrtausend: Sie spielte in Lars von Triers Dogville (2003) und in Jonathan Glazers Birth (2004), in Hayao Miyazakis gefeiertem Animationsfilm Howl’s Moving Castle (2004) sprach sie die Hexe, und 2007 spielte sie mit Woody Harrelson Talent-Ping-Pong in Paul Schraders The Walker, nachdem sie 2006 in der legendären Serie The Sopranos einen Cameo-Auftritt hingelegt hatte.

Für das American Film Institute gehört sie zu den bedeutendsten Filmstars der Geschichte.

»Ich bin immer für neue Erfahrungen zu haben«, sagte Bacall 2007 im Interview mit dem »Elle«-Magazin. »Ich meine, was zum Teufel! Ich werde jetzt nicht mehr Scarlett O’Hara spielen, also sollte ich lieber großartige neue Erfahrungen machen!«

Als Anjelica Houston 2009 Lauren Bacall den Ehren-Oscar überreichte, betonte sie auch, dass diese unabhängige, glamouröse Frau zudem eine Romantikerin sei, die ihre Familie leidenschaftlich liebe. Und das hat die unabhängige Bacall tatsächlich vorgelebt. Ihre Familie kam zuerst. Sogar vor Hollywood.

»Ich hatte eine tolle Ehe, ich habe drei tolle Kinder und vier Enkelkinder. Ich bin immer noch am Leben. Ich kann immer noch arbeiten. Man lernt, mit dem zurechtzukommen, was man bewältigen kann«, sagte Lauren Bacall 1995 der BBC. Vor allem aber habe sie als in New York aufgewachsenes Kind schon sehr früh begriffen: »Die Welt schuldet dir gar nichts.«

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