Sie wollten eine Hochzeit mit allem Drum und Dran. Ein rauschendes Fest mit Familie und Freunden, unter der Chuppa stehen und das Glas zertreten. Ariel und Daniela hatten vor, der ganzen Welt zu zeigen, dass sie ihr Glück gefunden haben. Doch dann kam die kalte Dusche inmitten der Vorbereitungen: Die beiden konnten gar nicht heiraten. Zumindest nicht in dem Land, in dem sie leben: Israel.
Einer von fünf jüdischen Israelis lässt sich jedes Jahr im Ausland trauen. Die meisten tun dies, um die strikten Regelungen zu umgehen, die Heiratswilligen in ihrer Heimat auferlegt werden. Denn das Monopol für Eheschließungen liegt in den Händen des Oberrabbinats, eine zivile Heirat gibt es nicht. Ausschließlich orthodoxe Rabbiner bestimmen, wer sich das Ja-Wort geben darf und wer nicht. So fallen beispielsweise Ehen zwischen Juden und Nichtjuden komplett durch das engmaschige Raster der geistlichen Oberhäupter. Auch Konvertiten, die auf nicht-orthodoxem Weg übergetreten sind, wird die Trauung mit einem jüdischen Partner verwehrt; ebenso dürfen Geschiedene keine Kohanim heiraten.
Ariel und Daniela fühlen sich dem Judentum gänzlich verbunden und führen ein jüdisches Leben, sie sind Juden. Nicht jedoch in den Augen des Oberrabbinats. Ariel ist als gebürtiger Israeli mit jüdischen Eltern anerkannt, »aber ich bin das Problem«, sagt Daniela lakonisch und zuckt mit den Schultern. Vor fünf Jahren machte die gebürtige Amerikanerin Alija, nachdem sie zuvor in einem Kibbuz volontiert und sich in Land und Leute verliebt hatte. Zurück in der Heimat konvertierte sie bei einem konservativen Rabbiner zum Judentum.
Bürokratie Mit der Anerkennung durch das Innenministerium in der Tasche wanderte sie ins Land ihrer Träume ein. »Es war nicht leicht, aber wunderschön«, denkt sie an die Anfangszeit zurück. Als sie Ariel kennenlernte, wurde es noch besser. Nach drei Jahren war beiden klar, dass sie heiraten und eine Familie gründen wollten. Also machten sie sich auf den Weg zum Rabbinat. »Und damit fing das Grauen an«, so Daniela. Zunächst hätten die Rabbiner nach zahllosen Unterlagen verlangt, die zu beschaffen viel Geld und Zeit gekostet habe. Anschließend vertagten sie die Angelegenheit wieder und wieder und erklärten schließlich kategorisch, dass nicht geheiratet werden könne. Das Paar war geschockt. Dann hörte es von Bekannten von der Möglichkeit, in einer unbürokratischen Zeremonie auf Zypern zu heiraten.
Die beiden sind keine Ausnahme. Jährlich stehen 20.000 Israelis in ausländischen Standesämtern an, um »Ja« zu sagen. Dabei sind es mitnichten nur Paare, denen die Hochzeit in der Heimat verwehrt würde. Um die 40 Prozent könnten sehr wohl hier die Ehe schließen, wollen sich aber nicht dem Diktat des Oberrabbinats unterwerfen.
»Das ist ein klarer Protest«, meint Irit Rosenblum, Gründerin und Präsidentin der Organisation »New Family« in Tel Aviv. »Das sind Menschen mit liberalen Ansichten, die nicht gezwungen sein wollen, von den rabbinischen Gerichten getraut zu werden. Sie fühlen sich von den Regelungen unterdrückt.« Ein Teil dieser Menschen, erläutert die Anwältin, sei bereits in der zweiten Beziehung und hätte Erfahrungen mit dem Rabbinat gemacht. »Und jetzt wissen sie, was sie definitiv nicht mehr wollen.«
Mittelalter Vor allem im Scheidungsfall – auch der obliegt in Israel dem Rabbinatsgericht – sei die Prozedur besonders für Frauen oft nicht akzeptabel, erläutert Rosenblum. Rabbiner und Sekretäre seien ausschließlich Männer, denen die Ehefrau Rede und Antwort zu intimsten Fragen stehen muss. Außerdem habe sie verschiedene religiöse Riten zu exerzieren, was säkularen Menschen, gelinge gesagt, merkwürdig vorkomme. »Das ganze Prozedere hat etwas Mittelalterliches, und für viele moderne Leute ist das schlicht unerträglich.«
Auch Rabbiner Gilad Kariw hält das Vorgehen des Oberrabbinats für überholt. Der Direktor der israelischen Bewegung für progressives Judentum ist der Meinung, dass »die 40 Prozent« ein Weckruf sein sollten. »Die Zahl zeigt die Absurdität der Familiengesetze in Israel. Dies ist die einzige Demokratie der Welt, die Hochzeiten derartige religiöse Restriktionen aufzwingt.« Kariw meint, es sei an der Zeit, dass das Rabbinat die Regeln überdenkt. »Doch auch ohne neue Gesetzgebung«, so der liberale Rabbiner, »zeigt diese Zahl, dass das orthodoxe Monopol bei der Heirat vor dem Zusammenbruch steht.«
Genau dafür arbeitet Rosenblum seit Jahren unermüdlich. Seit 2008 hat sie bereits mehr als 10.000 Paare in Zeremonien »verheiratet«, die sie als »häusliche Verbindung« (domestic union) bezeichnet. Ihre Idee hat die Familienrechtlerin sich sogar patentieren lassen. »Der ›New-Family-Ausweis‹ ist ein legales Produkt mit Erklärung vor einem Anwalt und hat somit in Israel rechtlichen Bestand.« In fast allen Belangen haben die Partner damit heute dieselben Rechte wie Verheiratete, angefangen von Leistungen der Nationalen Versicherungsanstalt über Adoptions- und Steuerangelegenheiten bis hin zum Erbe.
Philosophie Doch vor allem sei die Philosophie hinter ihrer Idee von Bedeutung, macht Rosenblum deutlich. »In unserem Ansatz kommt die Kraft der Beziehung von innen, statt vom System aufgedrängt zu werden. Sie gibt die Stärke, über das eigene Leben selbst zu bestimmen.« Die »New Family«-Präsidentin verheiratet nicht nur Mann und Frau. Denn, macht sie klar, »die einzige Voraussetzung dafür ist denkbar einfach: Man muss ein Mensch sein. Das ist schon alles.«
Auch Daniela und Ariel haben ihre Alternative gefunden. Sie reisten nach Zypern, unterschrieben die Papiere und küssten sich. Anschließend feierten sie mit einem Rabbiner der liberalen Bewegung ihre Hochzeit in Israel mit Familie und allen Freunden. »Im Nachhinein sind wir froh, dass wir die Zeremonie nicht unter der Knute des Rabbinats machen mussten«, betonen sie. Ohnehin blicken die beiden nicht mehr zurück, sondern nur noch in die Zukunft, Nachwuchs ist geplant. »Wir wollen endlich unsere richtige jüdische Familie«, sagt Daniela und schaut ihren Liebsten an. Der nickt: »Jüdisch wird sie sein – ob mit oder ohne Zertifikat.«