Das Haus des Präsidenten ist das Haus aller Jerusalemer ohne Unterschied, sagt Israels Staatspräsident Reuven Rivlin (80). Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht er über Jerusalem als »Mikrokosmos der Beziehungen« und über die Liebe seines Vaters zur arabischen Sprache.
Herr Präsident, »bismillahi rahmani rahim« (Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes) – was bedeuten Ihnen diese Worte?
Sie kommen in das Haus eines Präsidenten, das das Haus aller Jerusalemer ohne Unterschied ist. Das Einzigartige an Jerusalem ist, dass alle Kinder Abrahams in ihr zuhause sind. Sie ist ein Mikrokosmos der Beziehungen, die in diesem Land seit Hunderten von Jahren bestehen und weiter bestehen werden. Mein Vater Josef Joel Rivlin war Jerusalemer in sechster Generation. Mein Großvater sah seine Hingabe zur arabischen Sprache und Kultur von klein auf. Deshalb entschied er, seinen Sohn auf eine muslimische Schule zu schicken, die ihn in Arabisch unterrichtete.
Das monumentale Projekt Ihres Vaters war eine Koran-Übersetzung in das Hebräische seiner Zeit.
Als ich als Parlamentssprecher die sunnitische Al-Azhar-Universität in Kairo besuchte, wollte ich dem Imam die Übersetzung meines Vaters geben. Er sagte: »Normalerweise kommen in unserer Bibliothek nur heilige Bücher, die in Arabisch geschrieben sind – aber ich akzeptiere das Buch Ihres Vaters, da es wahrlich den Geist des Korans atmet.« Vaters Sprache ist beinahe eine Weiterführung der Sprache des Tanach.
Wie kam es zu der Übersetzung?
Der Koran ist eng mit der Geschichte des Zionismus verbunden. Eliezer Ben Jehuda (1858–1922), der Begründer des modernen Hebräisch, hielt Arabisch für eine sehr wichtige Schwestersprache, von der wir lernen müssen, um das Hebräische zu erneuern, weil sie für Worte Referenzen oder Wurzeln lieferte, die im Hebräischen fehlten. Ben Jehuda identifizierte in meinem Vater ein einzigartiges Talent für beide Sprachen. Man sandte ihn an die Universität Frankfurt, zu den besten Linguisten und Orientalisten der Zeit. Aber bald wurde klar, dass er besser war als seine Lehrer. So wurde er mit der Übersetzung des Korans vom Arabischen ins Hebräische beauftragt, damit er dann ins Deutsche übersetzt werden kann.
Was wurde daraus?
Mein Vater sah, dass der Koran das Buch ist, das alle Muslime vereint. Als er zurück ins Land kam, sprach er so eloquent Arabisch, dass die Einheimischen seine Fähigkeiten bewunderten. 1942, als Generalfeldmarschall Erwin Rommel vor den Toren El-Alameins stand, saßen alle wichtigen Jerusalemer muslimischen und christlichen Familien auf unserem Balkon und sagten: »Herr Josef, der Krieg wird enden, Rommel wird gewinnen, aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen – wir werden Ihre Beschützer sein.« Mein Vater antwortete: »Keine Angst, Montgomery wird gewinnen, und dann wird die ganze Welt unsere Rechte als Juden an diesem Land anerkennen. Aber ihr braucht keinen Schutz von uns, weil ihr gleichberechtigte Bürger sein werdet unter uns.« Mein Vater war eine Brücke zwischen der alten jüdischen Bevölkerung, dem Nahen Osten und der modernen Gesellschaft.
Warum?
Anders als Staatsgründer David Ben Gurion, der Mauern zwischen uns und der Region errichtete, galt für meinen Vater: Wenn du hierher kommst, wirst du Teil des Nahen Ostens und bist nicht länger Europäer. Wir sind dazu bestimmt, zusammenzuleben; nicht als Strafe, sondern als Schicksal. Deshalb hat mein Vater so viel in diesen kulturellen Brückenbau investiert. Er glaubte an Israels Selbstverteidigungskraft, suchte aber gleichzeitig nach Wegen des Landes, sich in die Region zu integrieren. Mein Vater arbeitete auf den Tag hin, an dem die Araber unsere Rückkehr in unsere Heimat akzeptieren und wir zusammenleben können.
Diese Vision schlug fehl.
Keiner weiß richtig, wo wir heute stehen. Was politisch ausgedrückt wird, hat sehr wenig zu tun mit dem Konzept meines Vaters von einer Brücke in diese Region.
Wenn Sie Bildungsminister wären, würde jüdischen Kindern der Koran und das Neue Testament gelehrt?
Selbstverständlich. Es müsste verpflichtend sein für arabischsprechende Kinder, die Bibel zu lernen, sowie für jene, die aus hebräischsprachigen Familien kommen, das Neue Testament und den Koran. Es geht nicht um Religion, sondern darum, die Kultur und den Glauben des anderen zu kennen. Nehmen wir den Tempelberg: Er ist ein Vulkan, der in jedem Moment ausbrechen kann, zum Schaden aller. Wenn man den anderen, seinen Glauben und sein Erbe kennt, wird man respektvoll und sieht die Verbindung zwischen dem Judentum als Mutter und ihren Kindern Christentum und Islam. Das könnte zu Mäßigung führen und all diese Spannungen beruhigen.
Jerusalem als geteilte religiöse Stadt?
Jerusalem ist das religiöse Zentrum der drei monotheistischen Religionen. Es stimmt: Muslime haben Mekka, Christen den Vatikan und andere Kirchen, und wir nur die Klagemauer und das Sehnen nach dem Tempelberg. Aber hier leben wir alle zusammen. Jerusalem ist die Stadt Gottes. Sie müssen verstehen, dass es derselbe Gott ist. Gleichzeitig ist sie die Stadt des Friedens, um die es in den vergangenen 2000 Jahren Hunderte Schlachten gegeben hat. Heute kommen vier Millionen Touristen. Das ist ein Ergebnis der Zusammenarbeit der drei Religionen und ihrer Fähigkeit, zusammenzuleben, statt zu kämpfen.
Das Interview führte KNA-Korrespondentin Andrea Krogmann.