Eigentlich sind sie noch gar nicht da. Irgendwie aber schon. »Es ist ein einziges Durcheinander«, stöhnt Schai mehr als er es sagt. In zerrissenen Shorts hockt er auf einer Kiste in einer kahlen Wohnung in Tel Avivs Mitte und schaut durch einen Stapel Post. »Neben Hin- und Herfliegen ist das gerade meine Hauptbeschäftigung. Papiere sortieren«, sagt er halb amüsiert, halb frustriert. Seine Frau Annika brüht derweil löslichen Kaffee auf einer einzelnen Kochplatte auf. »Auch einen?«, ruft sie auf Deutsch. »Milch gibt es aber keine, ist ja noch kein Kühlschrank da.« Nach mehr als sieben Jahren in Deutschland kehren Annika und Schai zurück nach Israel. »Wegen der wirtschaftlichen Möglichkeiten und der jüdischen Erziehung für die Kinder.«
Damit gehören die beiden zu den 15.000 Israelis, die die Regierung jedes Jahr aus dem Ausland zurück ins Land holen will. Einem Plan für Steuer-, Krankenversicherungs- und Bildungsvergünstigungen für die Rückkehrer ist am vergangenen Sonntag zugestimmt worden. Jene, die fünf Jahre oder länger im Ausland gelebt haben, sollen künftig in den Genuss besonderer finanzieller Vorzüge ähnlich derer von Neueinwanderern kommen. Entsprechend dem zentralen Statistikbüro leben um die 750.000 Israelis im Ausland, etwa 60 Prozent in Nordamerika, 25 Prozent in Europa. In den letzten zweieinhalb Jahren kehrten etwa 22.000 von ihnen zurück, 219 aus Deutschland.
Beweggründe Annika und Schai haben im wahren Leben andere Namen. Die beiden möchten in diesem Artikel unerkannt bleiben, weil ihr Umzug noch nicht abgeschlossen ist und weil sie Sorge haben, ihre finanziellen Beweggründe, nach Israel zurückzukehren, könnten negativ ausgelegt werden.
Als sich die beiden – er Israeli, sie Deutsche – vor zwölf Jahren im Urlaub in Thailand kennenlernten, war für sie schnell klar, das ist die große Liebe, wir bleiben zusammen und machen Israel zu unserem Zuhause. Annika verliebte sich nicht nur in Schai, sondern auch in den kleinen Staat in Nahost, konvertierte zum Judentum und lebte »mit einem Traummann in einem Traumland, wenn auch mit einigen kleinen bis mittelgroßen Schönheitsfehlern«, wie sie einräumt. Fünf Jahre und ein Kind später bekam der Computerspezialist Schai ein Angebot aus Deutschland, das er nur schwer ausschlagen konnte. »Also packten wir die Koffer.«
Start-Up Annika und Schai richteten sich in einer mittelgroßen Stadt in Deutschland gut ein: »Die ersten fünf Jahre waren völlig in Ordnung«, meint die 35-Jährige. »Wir hatten anfangs gutes Geld, meine Familie war in der Nähe, es gab einen netten Freundeskreis, alles war schön geregelt und ruhig.« Dann verlor ihr Ehemann seinen Job. »Von da an war es ein Gehangel«, erinnert er sich. Die israelische Wirtschaft zeigt sich bislang von den Krisen in der Welt relativ unbeschadet, Grund für immer mehr Menschen, wieder in den ökonomisch sicheren Hafen der Heimat einzulaufen. Die Regierung gibt neben den Steuervergünstigungen 30 Millionen Schekel für kleine Geschäfte oder Start-ups von Rückkehrerern aus. Premierminister Benjamin Netanjahu sagte: »Erstens sind diese Menschen unser Fleisch und Blut. Zweitens verläuft ihre wirtschaftliche Integration meist sehr schnell, da sie denselben Hintergrund haben, Sprache und Kultur kennen. Zudem haben sie andere Arbeitsstandards kennen gelernt, die man hier anwenden könnte.« Israel sei gerade an einem Wendepunkt angelangt: »Früher sind viele Israelis aus Mangel an Möglichkeiten gegangen, heute sieht unsere Wirtschaft besser aus als die vieler entwickelter Nationen.«
Das ist es auch, was Annika und Schai lockt. Als das Geld knapp wurde, fing bei ihnen die Unzufriedenheit an. »Mir hat es gefehlt, mit den Kindern zu jeder Jahreszeit rausgehen zu können, ohne zu überlegen, hast du die Regencapes mit, die Gummistiefel, die Schals ...«, gibt Annika zu. Schwerer noch als die Wolken am Himmel wog indes der Mangel an jüdischer Bildung. Da die Familie weder in Berlin, München oder einer anderen Großstadt mit jüdischen Kindergarten- oder Schulangeboten wohnte, waren sie auf die regulären Bildungseinrichtungen angewiesen. »Es war falsch, unsere Kinder draußen gänzlich ohne jüdische Identität aufwachsen zu lassen. Jüdischsein fand nur in den eigenen vier Wänden statt. Außerdem gab es nach jedem Israel-Urlaub Tränen, wir alle wollten nicht wieder weg«, fasst Schai zusammen, was die Umzugspläne schließlich real werden ließ.
Umzug Die Initiative der Regierung begrüßen die beiden. Zwar hätten manche israelische Bekannten getönt, dass man nicht einfach zurückkommen und dafür Geld nehmen könne, doch Schai meint, dass er dem Staat als Soldat schließlich drei Jahre seines Lebens geschenkt habe. Da sei es okay, etwas zu nehmen. Obwohl der Container mit den Möbeln noch auf sich warten lässt, die Kinder gerade bei den Großeltern in Deutschland sind, es weder eine Spülmaschine noch einen Kühlschrank gibt, fühlen sich Annika und Schai schon wieder ein bisschen wie zu Hause. Besonders nach der neuesten Post: Schai hat ab nächsten Monat einen Job. »Das gehen wir feiern«, verkündet Annika, »bei Sonnenuntergang am Strand. Der ist fast vor unserer Haustür. Und das gibt’s nur hier.«