World Holocaust Forum

Zur richtigen Zeit

Am 23. Januar trafen sich Staatsoberhäupter und königliche Hoheiten in Yad Vashem, um ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen. Foto: imago images/Xinhua

Er begann mit einem hebräischen Segenspruch: »Gepriesen sei der Herr, … dass er mich heute hier sein lässt.« Als erstes deutsches Staatsoberhaupt hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am vergangenen Donnerstag in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem gesprochen.

Bei der zentralen Gedenkveranstaltung zum 5. World Holocaust Forum in Yad Vashem hatten sich mehr als 40 Staatsoberhäupter und gekrönte Häupter Europas verpflichtet, den Kampf gegen den wachsenden Antisemitismus aufzunehmen.

Gnade Gemeinsam erinnerten sie an die sechs Millionen jüdischen Frauen, Männer und Kinder, die von den Nazis ermordet wurden. »Welche Gnade, welches Geschenk, dass ich heute hier in Yad Vashem zu Ihnen sprechen darf«, sagte Steinmeier in seiner emotionalen Rede, die er auf Englisch hielt.

»Dieser Ort erinnert an Ida Goldis und ihren dreijährigen Sohn Vili. Im Oktober wurden sie aus dem Ghetto Chisinau deportiert, und im Januar, in bitterster Kälte, schrieb Ida ein letztes Mal an ihre Eltern und an ihre Schwester: ›Ich bedaure aus tiefster Seele, dass ich beim Abschied die Bedeutung des Augenblicks nicht erfasste, … dass ich dich nicht fest umarmt habe, ohne loszulassen.‹«

Erinnerung »Deutsche haben sie verschleppt. Deutsche haben ihnen Nummern auf die Unterarme tätowiert. Deutsche haben versucht, diese Menschen zu entmenschlichen, zu Nummern zu machen, im Vernichtungslager jede Erinnerung an sie auszulöschen. Es ist ihnen nicht gelungen. Ida und Vili waren Menschen. Und Menschen bleiben sie in unserer Erinnerung.«

75 Jahre nach der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz bekannte sich der Bundespräsident zu der deutschen Schuld am Holocaust und versicherte den Schutz jüdischen Lebens.

Die deutsche Verantwortung vergehe nicht, es dürfe keinen Schlussstrich unter das Erinnern geben. »Wir bekämpfen den Antisemitismus! Wir trotzen dem Gift des Nationalismus! Wir schützen jüdisches Leben! Wir stehen an der Seite Israels. Dieses Versprechen erneuere ich hier in Yad Vashem vor den Augen der Welt.«

Rivlin dankte den Gästen, für ihre Verpflichtung, der Schoa zu gedenken.

Als Erster hatte Israels Präsident Reuven Rivlin während der Gedenkveranstaltung gesprochen, der den Gästen aus aller Welt für ihre Teilnahme dankte, für ihre Verpflichtung, der Schoa zu gedenken, und die Verpflichtung gegenüber den Bürgern dieser Erde und jenen, die an die Würde des Menschen glauben.

Demokratie Er warnte davor, Demokratie als selbstverständlich anzusehen. Das jüdische Volk wisse, dass sich die Geschichte wiederholen könne, »wenn wir uns nicht erinnern«. Antisemitismus ende nicht bei den Juden. »Rassismus und Antisemitismus sind bösartige Krankheiten, die Völker und Nationen zerstören, und keine Demokratie sowie Gesellschaft ist dagegen immun.«

Israel sei keine Kompensation für den Holocaust. »Es wurde gegründet, weil es unsere Heimstätte ist. Israel ist nicht länger Opfer. Wir werden uns und unser Volk immer verteidigen.« Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu bestätigte dies mit den Worten, dass Israel, trotz der Dankbarkeit für Allianzen und Freundschaften in der Welt, sich stets darauf besinne, dass es »sich selbst verteidigen muss – durch sich selbst«.

Anschließend sprachen die heutigen Staatschefs der damaligen alliierten Mächte, wie Russlands Präsident Wladimir Putin, der die Bedeutung der Roten Armee im Kampf gegen Nazideutschland hervorhob, der Vizepräsident der USA, Mike Pence, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Thronfolger Prinz Charles.

Macron rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, »diese Barbarei niemals zu vergessen«. Man dürfe nicht aufgeben und müsse weiterkämpfen, »jeder Einzelne von uns durch Gesetze, Botschaften und Wachsamkeit. Bildung ist unser Gegenmittel«.

Fackel Am Ende der Gedenkveranstaltung entzündeten die Holocaust-Überlebenden Rose Moskovitz und Colette Avital zwei Fackeln der Erinnerung. Danach legte jeder der Besucher im Namen seiner Nation einen blumengeschmückten Kranz ab und verneigte sich vor den sechs Millionen Toten – im Sinne des Zitats des Vorsitzenden von Yad Vashem, Avner Shalev: »Nie wieder ist jetzt!«

Das World Holocaust Forum, das größte diplomatische Ereignis in Israels Geschichte, war eine außerordentliche Zusammenkunft in jeglicher Hinsicht. »Dies ist ein historischer Gipfel«, unterstrich Rivlin beim gemeinsamen Abendessen am Tag zuvor. »Nicht nur für Israel und das jüdische Volk, sondern für die gesamte Menschheit.«

»Der Bundespräsident hat es hervorragend gemacht.« Miki Zachar

Auch der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, gehörte der Delegation des Bundespräsidenten an. Er sagte: »Im Gedenkjahr 2020 blicken wir heute auf Israel. Für Tausende von Juden bedeutete die Auswanderung nach Palästina die Rettung vor der Schoa. Zu vielen blieb diese Rettung jedoch leider verwehrt. Nach dem Krieg und bis heute ist Israel zur sicheren Heimat von Millionen von Menschen geworden, und viele Schoa-Überlebende konnten sich in Israel ein neues Leben aufbauen.«
Für die Freiheit und Unabhängigkeit des Staates hätten zugleich viele Israelis ihr Leben geopfert, sagte Schuster. »Am heutigen Tag möchten wir Israel ausdrücklich danken. Seine Existenz darf niemals infrage stehen.«

Zeremonie Die aus der Slowakei stammende Holocaust-Überlebende Miki Za­char verfolgte die Rede des deutschen Bundespräsidenten im Fernsehen. Viele ihrer Familienmitglieder wurden von den Nazis nach Auschwitz deportiert. Nur einige überlebten. Sie selbst wurde als Kleinkind bei nichtjüdischen Familien in ungarischen Dörfern versteckt. »Der Bundespräsident hat es hervorragend gemacht und wirklich schön gesprochen«, befand sie im Anschluss an die Gedenkzeremonie. »Es hat gut getan, diese Worte zu hören. Und es war die richtige Zeit, dass er in Yad Vashem sprach.«

Ihr Ehemann Chanoch, der die Ansprache noch einmal Wort für Wort in der Zeitung nachlas, pflichtet ihr bei. »Ja, es war eine gute Rede. Es gab keine Beschönigungen, sondern angemessene Demut und Ehrlichkeit.«

Solidarität Beide finden, dass das World Holocaust Forum nötig war, in Zeiten, in denen der Antisemitismus so extrem zunehme. Es sei zudem wichtig, dass alle Formen des Hasses, des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit angesprochen wurden, meint Chanoch Zachar. »Und es war höchste Zeit, dass die Nationen ihre Solidarität im Kampf dagegen gemeinsam bekunden.«

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