In Israels Krankenhäusern werden die Corona-Abteilungen wieder geöffnet. Sie waren erst vor einigen Wochen geschlossen worden, nachdem der Kampf gegen die Epidemie erfolgreich verlaufen war. Aber aufgrund steigender Fallzahlen hat das Kabinett eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, die es eben erst gelockert hatte.
Dazu gehört eine Verdoppelung des Bußgelds auf umgerechnet 130 Euro für diejenigen, die sich über das Gesichtsmasken-Gebot hinwegsetzen. Die Zahl der Teilnehmer bei öffentlichen Veranstaltungen soll reduziert werden. Diskutiert wird auch der Einsatz von Überwachungs-Apps, um Ansteckungsketten zu unterbinden. Stadtteile oder Gemeinden, in denen sich die Epidemie gefährlich stark ausgebreitet hat, wurden bereits abgeriegelt.
strategie Bis vor wenigen Tagen hatte Israels Anti-Corona-Strategie als vorbildlich gegolten. In einem Vergleich des Economist unter 21 OECD-Ländern erhielt sie das Prädikat »sehr gut«.
Israel setzte früher als andere und ohne Rücksicht auf ökonomische Verluste harte Medizin ein: Die Grenzen wurden bereits Anfang März geschlossen, die Bewegungsfreiheit der Bürger im ganzen Land stark eingeschränkt, Gesichtsmasken für obligatorisch erklärt und Corona-Hotspots systematisch abgeriegelt.
Dass der Lockdown eine tiefe Rezession und eine hohe Arbeitslosigkeit verursachte, müsse man angesichts der Gesundheitsrisiken hinnehmen, hieß es in Jerusalem. Der Erfolg an der Gesundheitsfront gab der Politik recht: Bei einer Bevölkerung von neun Millionen wurden in Israel seit Beginn der Krise bisher 308 Todesfälle registriert, deutlich weniger als in Ländern vergleichbarer Größe.
FOLGEN Jetzt aber droht eine zweite Welle. Die Fallzahlen steigen wieder. Israel gilt bereits als Beispiel für die Folgen einer verfrühten Öffnung. Wurden Mitte Mai noch 16 Neuinfektionen pro Tag gezählt, waren es bei Redaktionsschluss bereits mehr als 500. Ein neuer landesweiter Lockdown stehe derzeit zwar nicht zur Diskussion, heißt es im Gesundheitsministerium. Bei einer Arbeitslosenquote von derzeit über 20 Prozent wäre das kaum zu rechtfertigen.
Und falls die Zahl der Neuinfektionen weiter ansteigt, droht Premier Benjamin Netanjahu mit neuen einschneidenden Maßnahmen. Dazu könnte auch die Schließung der Strände, Theatersäle oder Kinos gehören. Gegenden, in denen die Krankheit gehäuft auftritt, sollen gezielt abgeriegelt werden, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Genannt werden unter anderem Stadtteile in Jaffa oder Bat Yam südlich von Tel Aviv, zudem Tiberias, Rahat und Arara. Verschiedene Corona-Hotspots wurden am Dienstag bereits zu Sperrzonen erklärt.
Das erhöhte Corona-Risiko gefährdet auch den Fremdenverkehr. Hatten Israelis bisher hoffen können, in Länder wie Zypern oder Montenegro reisen zu können, ohne bei der Einreise einen Test vorweisen zu müssen, wurde Israel sowohl von Nikosia als auch von Podgorica zurückgestuft.
einreise Gefährdet ist jetzt zudem die baldige und problemlose Einreise von Israelis in Schengen-Länder, um die sich Diplomaten bemühen. In der vergangenen Woche hatte Premier Benjamin Netanjahu als Zieldatum für die Ein- und Ausreise noch den 1. August genannt.
Einige Corona-Hotspots wurden bereits zu Sperrzonen erklärt.
Dass die Krise noch nicht ausgestanden ist, hat ein am Wochenende publizierter Bericht des militärischen Geheimdienstes gezeigt. Er hat im Auftrag des Gesundheitsministeriums die Informationen von der Corona-Front zusammengetragen und analysiert. Die Schlussfolgerungen waren ein schriller Weckruf.
Bis Ende Juli, so die Experten, könnte die Zahl der Infizierten auf über 1000 pro Tag steigen, und es wäre mit »vielen Hundert Toten« zu rechnen. In einem der durchgerechneten Szenarien wird der Regierung empfohlen, sich auf die Versorgung von 125.000 Corona-Kranken und 7500 Patienten in Krankenhäusern vorzubereiten.
PANIK Die Zahlen sind zwar umstritten. Der Bericht sei »Panikmache«, werfen ihm Kritiker zudem vor. Gerügt wird etwa, dass beim Verfassen des Berichts keine Epidemiologen berücksichtigt wurden und die Namen der Autoren nicht angegeben sind.
Sicher ist aber, dass die Öffnung der Wirtschaft chaotisch wirkte und einem widersprüchlichem Muster folgte. Die Exit-Strategie entsprach »klassischem israelischen Denken«, meint Nadav Eyal, der die Krise für einen TV-Sender analysiert und kommentiert: »Ein bisschen Information, viel öffentlicher Druck, eine Prise Populismus, Tempo und am Ende Improvisation.«
Der jüngste Verlauf der Ausbreitung gestaltet sich anders als im März. Damals hatten sich viele Israelis im Ausland angesteckt oder nach einem Kontakt mit Menschen, die das Virus »importiert« hatten. Dieses Mal ist die Krankheit »made in Israel«. Das Virus Sars-CoV-2 befällt im zweiten Anlauf zudem eine andere Bevölkerungsschicht als zuvor. Während in den Monaten März und April vor allem Altersheime und Wohngegenden der Ultraorthodoxen als Infektionsherde identifiziert wurden, sind es dieses Mal die Schulen, die sich als Virenschleudern entpuppen.
SCHULE Seit Anfang Juni wird jede Schule bereits dann geschlossen, wenn in einer Klasse auch nur ein einziger Fall registriert worden ist. Viele Eltern lassen ihre Kinder zu Hause und verlassen sich auf ihre eigene Einschätzung der Ansteckungsgefahr. In den Klassenzimmern, in denen bis zu 40 Schüler unterrichtet werden, können Abstandsregeln nicht eingehalten werden.
Wegen der langen Sommerferien, die für einen Teil der Schüler bereits begonnen haben, ist die Gefahr Schule bis zum 1. September fürs Erste gebannt. Um sie auch künftig als Infektionsherd auszuschalten, will sich das Erziehungsministerium im kommenden Schuljahr vermehrt auf die Option Fernunterricht verlassen.
Inzwischen setzt Israel zur Bewältigung der Corona-Krise auf Hightech. Im Kampf gegen Covid-19 stehe das Land »an der Front«, sagt Jonathan Medved, Chef von OurCrowd, Israels aktivstem Venture-Capital-Fonds. Die Krise habe Technologietrends »in Warp-Geschwindigkeit beschleunigt«. Er geht davon aus, dass als Folge der Krise neue Firmen entstehen werden, weil die Bedürfnisse und Anwendungsoptionen gestiegen seien, zum Beispiel in den Bereichen Cloud und Künstlicher Intelligenz, zudem für digitale Gesundheitsprojekte.