Demografie

Zion bleibt anziehend

Präsident Reuven Rivlin (r.) und Innenminister Gideon Saar (l.) heißen Neueinwanderer aus den USA und Kanada willkommen. Foto: Flash 90

Die Israelis kommen dieser Tage aus dem Zahlenvergleichen gar nicht mehr heraus. Erst die Einkaufsbons, jetzt die Einwanderungszahlen. Der Mediensturm, den ein in Berlin lebender Israeli mit seinem Internetpost über niedrige Lebensmittelpreise in der deutschen Hauptstadt angestoßen hatte, wirft viele Fragen auf. Ziehen mehr Menschen weg als ins Land kommen? Und wie viele junge Israelis leben wirklich in Berlin? Sind es tatsächlich Massen, die mit Sack und Pack in die Metropole an der Spree strömen, wie die Debatte um die Auswanderung junger Israelis nach Deutschland glauben machen will?

Experten geben Entwarnung. Der »Milky-Protest« sei mehr Ausdruck einer Stimmung als das Abbild der tatsächlichen Situation, erklärt der Demografie-Spezialist Sergio DellaPergola von der Hebräischen Universität in Jerusalem. Das Zentrale Institut für Statistik (CBS) gibt die Zahl der Israelis, die 2012 in der deutschen Hauptstadt lebten, mit 3065 an. (Neuere Zahlen stehen derzeit noch nicht zur Verfügung.)

»Das ist sehr niedrig im Vergleich zu den Geschichten von den Zehntausenden, die durch Berlin spazieren und Schokoladenpudding löffeln«, so DellaPergola. Allerdings gehen andere Schätzungen eher von 10.000 bis 15.000 oder sogar 20.000 jungen Israelis aus, die sich in Neukölln, Mitte oder Schöneberg niedergelassen haben. Da viele mit ihren europäischen Pässen in die EU einreisen, können keine genauen Zahlen angegeben werden.

Verständnis Eine Umfrage des Fernsehkanals Zwei ergab im Oktober, dass die Zahl derjenigen, die sich eine Auswanderung vorstellen können, bei rund 30 Prozent liegt. Die Mehrzahl indes (56 Prozent) würde Israel nach eigenen Angaben nicht verlassen. Doch selbst wenn sie ihre Koffer niemals packen würden, so können sie doch verstehen, wenn andere es tun. Nur noch etwas mehr als ein Drittel sieht Auswanderung als Stigma. Die meisten können heutzutage dem Leben woanders etwas Positives abgewinnen.

Tatsache ist, dass die Zahl der Jordim, der »Absteiger«, wie die Emigranten im Volksmund oft noch genannt werden, stetig abnimmt. 2012, im Jahr nach den massiven sozialen Protesten, waren es mit 15.900 so wenig wie noch nie seit der Staatsgründung 1948, gibt das CBS an. Von diesen ist nach Angaben der Einwanderungsbehörde bis April 2014 sogar ein Viertel wieder nach Israel zurückgekehrt oder hat angegeben, in naher Zukunft wieder einreisen zu wollen. Im Vergleich dazu haben 13.500 Expats im Jahr 2012 ihre Zelte wieder im Land aufgeschlagen. Damit gab es 2400 mehr Aus- als Rückeinwanderer. In den Jahren 1986 bis 2008 lag diese Zahl noch stetig bei rund 10.000.

Außerdem machten im Jahr 2012 der Jewish Agency zufolge 18.000 Juden aus allen Teilen der Welt Alija. Rechnet man diese Zahlen gegeneinander auf, erhielt Israel 2012 unterm Strich 15.600 neue Bürger. Beispielsweise erlebt die Einwanderung der Juden aus Frankreich derzeit ein absolutes Hoch. Die Jewish Agency geht davon aus, dass die Rekordzahl von 5800 französischen Juden im Jahr 1968 noch 2014 gebrochen werden wird.

»Durch die Steigerung der Einwohnerzahl insgesamt ist der Anteil der Auswanderer an der Gesamtbevölkerung prozentual sogar noch weiter geschrumpft«, erläutert DellaPergola. »Und das ist eine wirklich gute Nachricht.« Interessant sind die soziodemografischen Aspekte: Die Mehrzahl der Emigranten ist nicht in Israel geboren, sondern im Ausland. Viele gehörten zu der großen Einwanderungswelle aus der ehemaligen Sowjetunion in den 90er-Jahren. Rund ein Viertel von ihnen, so das Statistikinstitut, sei nicht jüdisch. Und lediglich 5700 der 2012 Ausgewanderten seien Juden gewesen, die in Israel geboren wurden.

Gebildet Allerdings gebe das Profil derjenigen, die ihre Heimat hinter sich lassen, Anlass zur Sorge, meinen Bevölkerungswissenschaftler. Das Durchschnittsalter liegt bei 28,1 Jahren, der überwiegende Teil ist gebildet und hat einen Hochschulabschluss. Es sind vor allem die jungen, schlauen, kreativen Menschen, die das Land verlassen und sich anderswo eine Existenz aufbauen. Dieser sogenannte Braindrain sei in Israel indes nicht höher als in anderen Ländern Europas.

Das Statistikinstitut gibt an, dass schätzungsweise 550.000 bis 582.000 Israelis derzeit im Ausland leben. Der überwiegende Teil von ihnen in den USA, gefolgt von Kanada, Deutschland und Großbritannien. Allerdings zählten dazu auch jene, die lediglich für einen beschränkten Zeitraum in einem anderen Land leben, etwa für ein Studium oder einen beruflichen Austausch, und dann zurückkehren.

Zu ihnen gehört auch die Familie Schechter. Als der Hightech-Spezialist Avi Schechter vor einigen Jahren von seiner Firma ein Angebot erhielt, drei Jahre lang in die USA zu ziehen, das doppelte Gehalt zu verdienen und die gesamte Familie mitzunehmen, griff er sofort zu. »Wir haben das als wundervolle Erfahrung gesehen. Meine drei Kinder sprechen dadurch fließend Englisch, haben eine andere Kultur erlebt und sind insgesamt viel offener geworden. Ich kann allen, die die Möglichkeit dazu haben, so etwas nur empfehlen.«

Mittlerweile sind die Schechters wieder im Land und wollen auch nicht mehr weg. »Israel für immer zu verlassen, kam für uns nie infrage. Die Kinder sollen schließlich hier aufwachsen. Selbst, wenn es mir angeboten worden wäre, hätten wir es nicht getan«, sagt Avi bestimmt. Seine Frau Efrat stimmt zu: »Israel ist eben nicht irgendein Land. Es ist das einzige wahre Zuhause, das Juden haben. Und das müssen wir schützen.«

Israel

Bernard-Henri Lévy sagt aus Protest Teilnahme an Konferenz in Israel ab

Der Schritt des französischen Philosophen erfolgte aus Protest gegen die Einladung der zwei rechten französischen Politiker Jordan Bardella und Marion Maréchal

von Michael Thaidigsmann  13.03.2025

Jerusalem/Genf

Nach Israel-kritischem Bericht: Netanjahu wirft UNHRC Antisemitismus vor

Ein UN-Bericht wirft Israel sexualisierte Gewalt gegen Palästinenser vor. Der Ministerpräsident spricht von einem »antiisraelischen Zirkus«

von Imanuel Marcus  13.03.2025

Geiseln

Avinatan lebt!

Es ist das erste Lebenszeichen der 32-jährigen Geisel. Seine Freundin, die befreite Noa Argamani, kämpft unermüdlich für ihn

von Sabine Brandes  13.03.2025

Vermisst!

Angekettet und allein

Alon Ohel wurde am 7. Oktober schwer verletzt und verschleppt

von Sabine Brandes  13.03.2025

Doha

Verhandlungen um Waffenruhe und Geiseln stocken

Die Gespräche kommen nicht voran. Welches Ziel verfolgen die Amerikaner?

 13.03.2025

Washington D.C.

Trump: Niemand will Palästinenser aus Gaza vertreiben

Der US-Präsident hat gesagt, die USA könnten den Gazastreifen besitzen und wiederaufbauen. Nun versicherte er, dass ihn aber niemand zwangsweise verlassen müsse

 13.03.2025

Nahost

Geisel-Familien fürchten Auswirkungen des Gaza-Stromlieferungsstopps

Israel hat die Stromzufuhr nach Gaza gekappt, um Druck auf die Hamas auszuüben. Angehörige der verschleppten Israelis haben bei Gericht eine Aufhebung dieses Beschlusses beantragt

 12.03.2025

Nahost

Israel und Libanon sprechen über Landgrenze

Nach einem Treffen, an dem auch die USA und Frankreich beteiligt waren, will Jerusalem mit dem Nachbarland strittige Themen erörtern

 12.03.2025

Geisel

»Zum Geburtstag schlug er mich mit einer Eisenstange«

Der 23-jährige Israeli Omer Wenkert schildert schockierende Details seiner Gefangenschaft in Gaza in einem ersten Interview

von Sabine Brandes  12.03.2025