»Schalom Habibi«

Zeitenwende in Nahost

Viele selbst ernannte Nahost-Experten haben kaum eine Ahnung von den Entwicklungen in der Region – und auch kein Interesse daran, sich mit diesen tiefgehend auseinanderzusetzen. Sonst würden sie zu der unausweichlichen Feststellung gelangen, dass die Abraham Accords »da sind, um zu bleiben«. Friedensverträge, die die ohnehin schon seit längerer Zeit hinter verschlossenen Türen laufenden Beziehungen zwischen Juden und Israel einerseits und muslimischen und arabischen Staaten andererseits zum ersten Mal ins internationale Rampenlicht gerückt haben.

Positive Kontakte und Zusammenarbeit zwischen Juden und Muslimen auf individueller Basis und auf Länderebene sind heutzutage täglich in den sozialen Netzwerken nachverfolgbar. Israelische Minister, die auf offiziellen Empfängen in arabischen Staaten eingeladen sind, und muslimische Delegationen, die Israel besuchen und darüber posten und tweeten, sind für jeden »Nahost-Experten« leicht zu finden. Jedoch besteht nicht immer das Interesse, diese Entwicklungen, diese Zeitenwende als solche zu bezeichnen, denn es würde das altbekannte Nahostbild, in dem es eine klare Rollenverteilung gibt, zerstören.

Die Kontakte zwischen Israel und Saudi-Arabien sind historisch.

Das alte Schema ist einfach auf den Punkt zu bringen: Jude gegen Muslim und Israel gegen die muslimische Welt. Alles dreht sich angeblich um die Juden und Israel, es herrschen Konflikt, Terror und Krieg, wo das Auge nur hinschaut. Höchstwahrscheinlich würde sich die Lage in der muslimisch dominierten Region beruhigen, wenn der jüdisch-israelische »Störenfried« sich in Luft auflösen würde. Aussprechen tut dies kaum jemand so deutlich. Durch den Kopf geht es wahrscheinlich vielen.

Wenn man schon Entwicklungen ignoriert, über die es eigentlich öffentlich verfügbare Informationen gibt, dann wird es umso problematischer, wenn man sich von diesem Hellfeld aus ins Dunkle vortastet. Gemeint ist damit eine ganze Reihe muslimischer Staaten, deren Beziehungen zu Juden und dem jüdischen Staat nach wie vor hinter verschlossenen Türen stattfinden, so wie einst die VAE, Marokko und Bahrain. Die meisten »Nahost-Experten« haben keine Möglichkeit, Informationen über diese Entwicklungen zu erhalten.

geheimnis Es ist ein offenes Geheimnis, dass Israel sich in den letzten Jahren sogar dem saudi-arabischen Königreich angenähert hat und es gegenseitige Besuche von hochrangigen Vertretern der jeweiligen Länder gab. Auch wenn die Kontakte noch relativ frisch sind und es eventuell noch Zeit braucht, bis auch Saudi-Arabien ins Licht tritt und diplomatische Beziehungen zu Israel aufnimmt, ist selbst dieser erste Schritt zum Frieden zwischen Israel und der sunnitischen Hochburg zwar eine kleine Entwicklung, aber ein riesiger Sprung für die Saudis.

Im Westen scheint man nicht ganz mit der äußerst patriarchalischen und erzkonservativen Scharia-Kultur der Saudis vertraut zu sein. Doch so wie die Autofahrerlaubnis für Frauen eine Art interne Revolution war, so ist dies auch die Annäherung mit Israel. Es ist deshalb sehr gut nachvollziehbar, dass die Saudis es sehr bedacht und vorsichtig angehen. In den Anfängen wurden Beziehungen hinter verschlossenen Türen aufgenommen, in der Regel im Sicherheitsbereich, aber nicht nur.

Dann wurde israelischen Fluggesellschaften erlaubt, den Flugraum über Saudi-Arabien zu nutzen, statt wie gewohnt stundenlange Umwege fliegen zu müssen, wenn es aus Israel nach Asien ging. Parallel dazu haben die Saudis ihren emiratischen und bahrainischen Verbündeten grünes Licht für den Friedensvertrag vom 15. September 2020 in Washington gegeben. Ohne Zweifel wäre es niemals zu den Abraham Accords gekommen, wenn die Saudis nicht mit an Bord gewesen wären. Die Zeitenwende, von der ich hier schreibe, betrifft somit auch Saudi-Arabien.

Jedes Land muss entscheiden, auf welcher Seite es steht.

In der neuen Realität des Nahen und Mittleren Ostens muss sich jedes Land entscheiden, auf welcher Seite es steht und, wenn es sein muss, kämpft. Die Fronten sind relativ klar. Auf der einen Seite befinden sich die Verbündeten der Amerikaner und immer deutlicher auch Israels. Zu diesem Camp zählt ein Großteil der sunnitisch-muslimischen Welt, angeführt von Saudi-Arabien, Ägypten und der Türkei.

Das ist kein in absoluter Harmonie miteinander verkehrender Block von Staaten, denn besonders die Türkei hat parallel zur NATO-Mitgliedschaft auch unabhängige Gebietsansprüche in der Region, führt einen Dauerkonflikt mit den Kurden und befindet sich in Sachen Energiegewinnung aus dem Mittelmeer im wahrsten Sinne des Wortes auf dem entgegengesetzten Ufer zu Ägypten und Israel. Dennoch sind sowohl die Türkei als auch Ägypten, Saudi-Arabien und viele weitere sunnitisch-muslimische Staaten Verbündete der USA und somit auf indirekte oder direkte Weise auch Israels.

UNTERWANDERUNG Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich das von Russland und China unterstützte iranische Mullahregime, das sich seit der Islamischen Revolution 1979 zum Ziel gesetzt hat, die gesamte muslimische Welt unter seine Führung zu bringen. Revolutionsführer Ayatollah Chomeini sagte es, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen: Bei dieser Revolution ging es nicht nur um den Iran, sondern um die gesamte Region.

Die gesamte Region wird somit seit 1979 pausenlos unterwandert, und in vielen Bereichen werden irantreue Terrororganisationen, Milizen und Söldnertruppen gegründet, finanziert, indoktriniert, ausgerüstet, trainiert und in den Krieg geschickt, um Gebiete für die »schiitische Sache« zu besetzen. Dutzende schiitische Gruppierungen jeglicher Sorte sind mittlerweile in der muslimischen Welt unterwegs und sorgen durchgängig für Instabilität.

Zu den dominantesten Gruppierungen gehören die iranischen Revolutionsgarden und ihre Auslandsabteilung, die Al-Quds-Brigaden, die libanesische Hisbollah, die jemenitischen Huthis und Asa’ib Ahl al-Haqq, Al Hasch asch Scha’bi und Kata’ib Hisbollah im Irak. Hinzu kommen die aus pakistanischen Söldnern bestehenden Zeynabiyun und aus afghanischen Söldnern bestehen Fatimiyun in Syrien. Sogar sunnitische Terrororganisationen wie der Islamische Dschihad in Palästina und die Hamas im Gazastreifen bis hin zu global operierenden sunnitischen Dschihadisten wie Al-Qaida werden unterstützt, wenn es im Sinne der schiitischen Machtentfaltung ist und die Feinde der schiitischen Republik in Schach hält.

zukunft Aber zurück ins Hinterzimmer. Wäre es vorstellbar, dass Israel eines Tages auch Frieden mit Pakistan schließt? Warum nicht? Während ich diese Zeilen schreibe, besucht eine Delegation von exilpakistanischen Influencern mit der Organisation Sharaka Israel, um den jüdischen Staat und seine Menschen kennenzulernen, mit dem Ziel, im Anschluss an die Reise eventuell als »Botschafter« Brücken zwischen Israel und Pakistan zu bauen. Auch das ist eine neue Entwicklung.

Wird Israel eines Tages Frieden mit Pakistan schließen? Warum nicht?

Wäre es vorstellbar, dass Israel sich mit dem bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt, Indonesien, verbündet und Freundschaft schließt? Kontakte bestehen und werden hoffentlich in den kommenden Jahren ausgebaut. Was spricht dagegen, dass Israel sich Pakistan und Indonesien nähert, diplomatische Beziehungen aufnimmt, Freundschaft und Frieden schließt und mit beiden Ländern eine sich für alle Seiten auszahlende Zusammenarbeit eingeht? Israel hat so viel zu bieten. Pakistan und Indonesien wissen das. Und beide Länder wissen, dass weder die Juden noch der jüdische Staat in irgendeiner Weise ihre Feinde sind.

Die ersten Zeichen für eine Annäherung haben schon längst stattgefunden. Es ist meines Erachtens nur eine Frage der Zeit, bis auch Saudi-Arabien, Indonesien und Pakistan auf den Zug aufspringen und die Zeitenwende noch sichtbarer machen.

Arye Sharuz Shalicar: »Schalom Habibi. Zeitenwende für jüdisch-muslimische Freundschaft und Frieden«. Hentrich & Hentrich, Berlin/Leipzig 2022, 162 S., 18 €

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