Im Sommer ist der Golan eines der beliebtesten Ausflugsziele. Das windige Plateau mit seinen schattigen Apfelplantagen bietet angenehme Erfrischung in der drückenden Hitze. Dieser Tage aber reihen sich die Israelis nicht nur wegen der frischen Brise in die Blechkolonnen Richtung Norden ein. Sie wollen einen Blick auf die Kämpfe beim Nachbarn werfen. Der syrische Bürgerkrieg tobt direkt vor der Haustür.
Seit Wochen pilgern Menschen mit Ferngläsern und Fotoapparaten an die Grenze. Deutlich sind die Rauchwolken von den Hügeln auf israelischer Seite auszumachen, die aus Ortschaften jenseits der Grenze aufsteigen. Immer wieder hört man aus der Ferne Einschläge von Granaten, Schüsse knallen durch die Luft.
Unter die Tagesausflügler mischen sich ausländische Rucksacktouristen und Drusen, die auf dem Golan leben. Zion Biton ist mit seinem Sohn im Teenager-Alter hier. »Es ist interessant, so etwas zu sehen, ohne involviert zu sein. Normalerweise können wir Kriege nicht von außen verfolgen, sondern sind immer mittendrin.«
Der Mann aus Holon findet es erschreckend, wie nah die Kampfhandlungen anmuten. Fühlt er sich bedroht? »Von diesen Schüssen nicht, die sind zu weit weg. Aber von den Chemiewaffen, die sich in Händen dieses Irren Assad befinden, schon«, gibt er zu. »Auf dem Golan würde ich im Moment wirklich nicht wohnen wollen.«
Sperrzone In dieser Woche wurde auch Verteidigungsminister Ehud Barak persönlich Zeuge der Kämpfe. Während eines Interviews in der Nähe der Grenze waren wiederholt Granateneinschläge zu hören. »Die Gefechte zwischen der syrischen Armee und den Rebellen sind etwa 800 Meter vom Zaun entfernt«, erklärte der Minister – ohne zu begreifen, dass just in dem Moment syrische Soldaten in die entmilitarisierte Zone eingedrungen waren. Der drei bis sechs Kilometer breite Streifen war 1974 als Ergebnis des Rückzugsabkommens zwischen Israel und Syrien geschaffen worden. Seitdem darf es in diesem Gebiet keine Militärpräsenz der Staaten mehr geben. Die Einhaltung wird auf beiden Seiten von rund 8.000 UN-Soldaten überwacht.
Doch die bereits 17 Monate andauernde kriegerische Auseinandersetzung zwischen der Armee des Regimes von Baschar al-Assad und den oppositionellen Kämpfern dehnt sich immer weiter aus. Die Rebellen nahmen in der letzten Woche offenbar das syrische Dorf Rawyahina ein, nur wenige Kilometer von der israelischen Grenze entfernt. Das Eindringen von Assads Männern in die entmilitarisierte Zone bezeichnete Israel als »schweren Übergriff« und legte bei den Vereinten Nationen offiziell Beschwerde ein.
Nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP hat die Regierung in Jerusalem daraufhin veranlasst, die Absperrung nach Syrien mit zusätzlichem Stacheldraht zu verstärken. Denn nicht nur die Granaten rücken näher. Auch die Flüchtlingsströme nehmen täglich zu. Hunderttausende Menschen sind bereits vor den Kämpfen nach Jordanien, in den Irak und die Türkei geflohen. Syrische Flüchtlinge an der Grenze wären für Israel ein Dilemma, denn auf diese Weise könnten Terroristen eingeschleust werden, um Anschläge zu verüben. »Die Truppen sind in höchster Alarmbereitschaft«, so ein Sicherheitsexperte zu AFP.
Arsenal Eine weitere Angst treibt die Israelis um. Was könnte mit den chemischen Waffen des Feindes geschehen? Stabschef Benny Gantz betonte, dass sie sich nach wie vor im Arsenal von Präsident Assad befänden. »Doch das kann sich jederzeit ändern.« Es besteht die Sorge, dass die Chemiewaffen an die libanesische Hisbollah gelangen und gegen Israel eingesetzt werden könnten. Außenminister Avigdor Lieberman sagte, dass dies einer Kriegserklärung gleichkäme. Gantz jedoch warnte, dass ein Eingreifen Israels zu einer Eskalation in der gesamten Region führen könnte.
Als stabil schätzt die Lage mittlerweile niemand mehr ein. Grund genug für die Bevölkerung, an den Ausgabestellen für Gasmasken im ganzen Land Schlange zu stehen. Im Vergleich zu den Vormonaten habe sich die Nachfrage nach den Masken fast verdoppelt, gab die zuständige Stelle des Heimatfrontkommandos an. »Keiner wird es wagen, Israel mit chemischen Waffen anzugreifen. Also wird auch nichts passieren«, versicherte allerdings Verteidigungsminister Barak in einem Radiointerview und kündigte an, er werde seine Gasmaske zurückgeben.
verwandte Die Drusen auf israelischer Seite denken weniger an Gasmasken als an ihre Verwandten. Die 20.000-Seelen-Gemeinschaft ist verteilt auf vier Dörfer im Grenzgebiet zum Nachbarn. Fast alle hier haben Angehörige in Syrien. Seit dem Beginn des Aufstands ist die Gemeinde zutiefst gespalten. Traditionell sind Drusen Anhänger des Regimes, unter dessen Regierung sie leben. Die israelische Staatsangehörigkeit nahmen indes die wenigsten an. Viele aus Angst, dass sie als Verräter angesehen werden, sollten die Golanhöhen eines Tages zurück an Syrien gehen. So taten sie ihre Unterstützung für Assad in regelmäßigen Demonstrationen kund.
Doch langsam bröckelt die loyale Fassade. Immer mehr vor allem junge Menschen identifizieren sich mit der Forderung der Opposition nach einem Ende der despotischen Minderheitsregierung der Baath-Partei. Ali Amar steht auf dem Hügel neben seinem Heimatdorf Bukata. Er kommt jeden Tag aus Sorge um seine Angehörigen und auch, um seine Solidarität mit der Opposition zu zeigen. Seine Meinung ist eindeutig: »Assad, der Löwe von Damaskus, hat sich als Schlächter seines eigenen Volkes erwiesen. Wir können ihm nie wieder vertrauen.« Doch längst nicht alle sehen das so. Amars eigener Vater war immer pro Assad – und ist es noch heute. Sehr zum Unmut des Sohnes. »Es ist doch klar, was für ein Morden dort geschieht.«
Neben ihm schüttelt ein älterer Mann in der traditionellen Drusenkluft den Kopf und weist den Jüngeren auf Arabisch zurecht. Doch der winkt ab und betont: »Die Rebellen werden gewinnen. Denn sie kämpfen für die gerechte Sache. Assad – das war einmal.«