Erfahrungsbericht

»Yarden überlebte vor allem durch Humor«

Yarden Bibas umarmt nach 484 Tagen seine Schwester Ofri. Foto: Screenshot IDF

Yarden Bibas spricht heute fließend Arabisch. »Das war eine Möglichkeit, seinen Entführern näherzukommen«, erzählt seine ältere Schwester Ofri Bibas-Levy in einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Sender Kan. Knapp zwei Wochen ist Yarden jetzt zurück in Israel. Am 1. Februar kam er während der ersten Phase des Waffenstillstands- und Geiselbefreiungsabkommens nach 484 Tagen aus der Gefangenschaft der Hamas in Gaza nach Hause.

Wobei sein »Zuhause« nicht mehr existiert. Der Heimatkibbuz Nir Oz ist zerstört, seine Frau Shiri und ihre gemeinsamen Kinder Ariel (5) und Kfir (2) sind weiterhin in Gaza. In einer persönlich geschriebenen Botschaft wandte sich Yarden einen Tag nach seiner Befreiung an Premierminister Benjamin Netanjahu. Er schrieb: »Solange mein Licht dort ist, lebe ich hier in Dunkelheit. Bringen Sie meine Familie, meine Freunde und alle Geiseln zurück.«

Die Sorge um das Leben von Shiri und den Kindern ist groß, nachdem die Hamas bereits im November 2023 behauptet hatte, dass sie bei einem israelischen Luftangriff getötet worden seien. Die IDF bestätigte dies jedoch nie. Seine Schwester erklärt: »Kurz nachdem Terroristen dieses fürchterliche Video von Yarden drehte, in dem ihm gesagt wurde, dass seine Familie tot sei, versuchte er zu verstehen, ob es sich um Psychoterror der Hamas handelt oder sie wirklich tot sind‹.«

Yarden war im Tunnel - aber niemals allein

Auf die Frage im Interview, wie es Yarden heute gehe, antwortet seine Schwester: »Er ist in Ordnung, physisch ist er völlig in Ordnung. Obwohl er viel Gewicht verloren hat, ist er stark.« Die psychologischen Herausforderungen seien schwierig, doch er habe Stärken, »von denen ich nie gedacht hätte, dass er sie hat«.

»Yarden war die ganze Zeit in den Tunneln aber niemals allein. Er erzählte uns, wie feucht es war. Die Matratzen seien schimmlig gewesen. Überhaupt hätten sie die meiste Zeit schlafend verbracht, nur um die Zeit herum zu kriegen. Aufgestanden seien sie fast nur, wenn es Essen gegeben habe, was extrem eingeschränkt war. Nach dem Beginn des Waffenstillstands hat er mehr und ausgewogeneres Essen bekommen, wahrscheinlich, damit sie bei der Übergabe etwas besser aussehen.«

»Schon im Moment der Freilassung hat er sich etwas von seiner Selbstbestimmung zurückgeholt.«

Besonders berührt habe sie der Moment seiner Freilassung. »Ich sah Ofer Kalderon aus dem Auto aussteigen. Zwei Minuten später folgte Yarden. Er war dünn, doch die Kleidung verbarg das etwas. Auf dem Weg zu der Bühne sagte einer der Terroristen etwas zu ihm. Später erfuhren wir, dass er an einem Poster von einem Hamas-Anführer hätte winken sollen. Doch er tat das nicht, sondern ging geradewegs zu der Bühne. Schon in diesem Moment hat er sich etwas von seiner Selbstbestimmung zurückgeholt.«

»Die israelischen Kommentatoren sagten immer wieder: ›Der Arme, der Arme, dieses schreckliche Schicksal…‹ Das ärgerte mich. Ich sah, wie Yarden hoch erhobenen Hauptes und mit geradem Rücken aus Gaza ging. Er ist stark. Das muss betont werden. Man sollte sich in erster Linie freuen, dass er überlebt hat und in Freiheit ist.«

Noch am Abend seiner Freilassung habe er die Familie eines Soldaten angerufen, mit dem er etwa ein Jahr lang zusammen war. »Es war ihm sehr wichtig, und es hat der Familie dieser Geisel viel Stärke gegeben.«

Überrascht, wie informiert ihr Bruder war

Es habe sie darüber hinaus sehr überrascht, wie informiert ihr Bruder war. Obwohl er so gut wie keinen Zugang zu Radio oder Fernsehen hatte, kannte er viele Details über das Geschehen am 7. Oktober und danach. »Die Geiseln wurden untereinander immer wieder ausgetauscht, und jedes Mal teilten sie Informationen, und auch die Terroristen erzählten.« Allerdings kenne der 33-Jährige nicht alle Details der Tragödie des 7. Oktobers.

»Wir reden mit ihm über die Freunde, die tot sind, die Zerstörung, die schrecklichen Geschehnisse, die Versäumnisse.« Es mache ihn auch sehr wütend. »Seine Frau und Kinder sind noch dort«, sagt Bibas-Levy und fügt hinzu: »Hamas ist eine grauenvolle und mörderische Organisation, die verantwortlich für das ist, was geschah und was die Geiseln in Gaza durchmachen müssen. Aber unser Premierminister muss sie nach Hause bringen. Es ist seine Verantwortung.« Egal, wie laut andere schreien würden, dass sie keinen Deal wollen, »Netanjahu ist derjenige, der die Verantwortung und die Fähigkeit hat, sie aus dieser Hölle rauszuholen. Er muss es tun«.  

Kurz vor dem Treffen nach einem Jahr und vier Monaten habe sie vor allem Angst davor gehabt, welche Fragen er zu seiner Familie stellen würde und dass sie darauf keine Antworten habe. »Doch auch hier war er auf demselben Informationsstand wie wir. Er weiß, dass es diese große Sorge gibt. Aber er hält an der Hoffnung fest.

»Er fand einen Weg, sich sogar mit jenen auf eine gewisse Weise zu verbinden, die ihn gekidnappt haben. So ist er einfach.«

Der Zurückgekehrte sei nach seiner Rückkehr »Yarden und auch nicht mehr Yarden«, wie Ofri Bibas-Levy es beschreibt. Und dann seien da diese Momente, in denen sie den Bruder von früher wiedererkennt: »Als ich mich nach seiner Rückkehr vorbereitete, ein Statement für die Journalisten im Krankenhaus zu geben frotzelte er: »›Meine Schwester, die Veganerin, die Milchbäuerin, gibt jetzt Presseerklärungen ab...‹ Das ist sehr lustig für ihn. Das ist Yarden, wie wir ihn kennen.«

Auch in der Gefangenschaft habe Humor eine große Rolle gespielt. »Yarden überlebte vor allem durch Humor. Er fand einen Weg, sich sogar mit jenen auf eine gewisse Weise zu verbinden, die ihn gekidnappt haben. So ist er einfach.«

Doch Yarden, ihr jüngerer Bruder, sei auch ein schüchterner Mann, sehr auf seine Privatsphäre bedacht. Die Tatsache, dass er berühmt ist, sei schwer für ihn zu verstehen. »Er hatte überhaupt keine Ahnung, dass er und seine Familie in der ganzen Welt Symbole für diese Tragödie sind.«

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