Man habe die »Kurve gerade noch gekriegt«, sagt Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle. Erleichterung ist in diesen Tagen bei vielen verantwortlichen Politikern in Deutschland zu spüren. Kurz vor dem 50. Jahrestag des Olympia-Attentats von München ist es nun doch noch zu einer Einigung mit den Hinterbliebenen gekommen.
Laut Bundesregierung gehört dazu die Aufarbeitung der Geschehnisse durch eine Kommission deutscher und israelischer Historiker, die rechtskonforme Freigabe von Akten sowie die Bereitstellung weiterer Anerkennungsleistungen durch den Bund, das Land Bayern und die Stadt München. Die Gesamthöhe dieser Anerkennungsleistungen soll laut Medienberichten 28 Millionen Euro für die Familien der Opfer betragen.
Am frühen Morgen des 5. September 1972 hatten sich palästinensische Terroristen Zutritt zum Olympiadorf verschafft und waren in das Quartier der israelischen Mannschaft eingedrungen. Sie töteten zwei Israelis, nahmen neun weitere als Geiseln. Mit der blutigen Aktion wollte die Gruppe »Schwarzer September« Gesinnungsgenossen aus der Haft freipressen. Was dann folgte, war eine Aneinanderreihung von Fehleinschätzungen und Pannen. Sie endete in der Nacht in einem komplett missglückten Befreiungsversuch auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck, bei dem alle Geiseln, ein Polizist und fünf der acht Terroristen getötet wurden.
»Der Anschlag löste einen Schock aus, der bis heute nachwirkt«, schreiben Anna Greithanner und Dominik Aufleger in der »Zeit«. »Elf Israelis, ermordet auf deutschem Boden, vor den Augen der Polizeikräfte: Für das Selbstverständnis der noch jungen Bundesrepublik bedeutete das eine Zäsur.«
Und doch fanden die Angehörigen lange kaum Gehör bei den Verantwortlichen. Als »schändlich« bezeichnet das Spaenle. »Stadt, Land und Bund haben versucht, das Thema über Jahrzehnte zu verdrängen«, sagte der CSU-Politiker und frühere bayerische Kultusminister dem Bayerischen Rundfunk.
Wie lautet die angemessene Reaktion auf das Attentat? Diese zentrale Frage stand auch 1972 im Raum. Die Spiele wurden am 5. September um 16.30 Uhr unterbrochen - rund 12 Stunden nachdem die Terroristen das nur lax gesicherte Olympiadorf betreten hatten. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) verständigte sich angeblich noch am gleichen Abend auf eine Fortsetzung der Wettbewerbe am Folgetag unabhängig vom Ausgang der Geiselnahme.
Am 6. September um 10.00 Uhr versammelte man sich zunächst einmal für eine Trauerfeier im Münchner Olympiastadion. Das ganze Ausmaß der Tragödie auf dem Flughafen von Fürstenfeldbruck schien gegen eine Wiederaufnahme der Spiele zu sprechen. Aber nicht nur in München deutete sich der Wunsch nach einer Fortsetzung an. Nahezu zeitgleich zur Trauerfeier beklagte Papst Paul VI. im Vatikan bei seiner Generalaudienz den Anschlag auf ein Ereignis, das die »menschliche Brüderlichkeit« feierte »und das jetzt unterbrochen ist, von dem Wir aber hoffen, dass es wieder aufgenommen werden kann«.
Im Stadion bekräftigte Bundespräsident Gustav Heinemann unter dem Applaus vieler Anwesender: »Die Olympische Idee ist nicht widerlegt. Wir sind ihr stärker verpflichtet als zuvor.« Dann gab IOC-Präsident Avery Brundage die berühmt-berüchtigte Parole »Die Spiele müssen weitergehen« aus. Es gelte in dem Bemühen fortzufahren, »sie rein und ehrlich zu halten.«
Bittere Ironie der Geschichte: Es war derselbe Brundage, der 1934 seinen US-amerikanischen Landsleuten einen Boykott der Olympischen Spiele 1936 im nationalsozialistischen Deutschland mit der Begründung ausgeredet hatte, die deutschen Juden seien mit ihrer sportlichen Situation zufrieden.
In München ging Olympia einige Stunden nach der Trauerfeier wieder zur Tagesordnung über: um 16.45 Uhr mit dem Handballspiel Rumänien gegen Ungarn. Die israelische Delegation reiste am Folgetag ab. Erst seit den 1990er-Jahren erinnern Gedenkstätten in München und Fürstenfeldbruck an das Attentat. Das IOC brauchte bis 2021, um sich zu einer Schweigeminute für die 1972 getöteten Olympioniken während der Eröffnungsfeier durchzuringen.
Am Montag richten sich die Augen der internationalen Öffentlichkeit noch einmal auf den einstigen Fliegerhorst Fürstenfeldbruck. Dort soll bei einer Gedenkveranstaltung im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Israels Staatspräsident Isaac Herzog eine Einordnung und die Übernahme politischer Verantwortung vorgenommen werden. Dabei wollen beide Spitzenpolitiker auch nicht öffentliche Gespräche mit Hinterbliebenen der Opfer des Attentats führen.