Das hätte sich Herzl nie träumen lassen. Der 38. World Zionist Congress (WZC) findet wegen der Corona-Krise zum ersten Mal in der Geschichte komplett digital statt. 720 Delegierte und Beobachter kommen aus 30 Nationen in aller Welt am Bildschirm noch bis morgen zu der Veranstaltung zusammen.
MOTTO Alle Gesprächsgruppen und Ansprachen werden ausschließlich virtuell stattfinden. Dafür ist in Jerusalem ein spezielles Übertragungszentrum eingerichtet worden, das die Schaltungen koordiniert. Das Motto des Kongresses ist »Gemeinsame Verantwortlichkeit und die Alija nach Israel«.
Die Ämter verschiedener Führungspositionen in nationalen Institutionen stehen zur Wahl: World Zionist Organization, Jewish National Fund-JNF und Keren Hayesod. Und auch Aktuelles steht auf der Tagesordnung, etwa wie die Corona-Pandemie die jüdischen Gemeinden in der Welt beeinflusst, die Vorbereitung für eine Welle der Einwanderung nach Israel durch die weltweite Krise, die Antisemitismus-Bekämpfung, eine Ausweitung der jüdischen Siedlungen und anderes.
»Die Diaspora ist kein Überrest der Vergangenheit«, betont der französische Philosoph Bernard-Henri Levy.
Der WZC ist 1897 gegründet worden und wurde bislang außer in den zwei Weltkriegen noch nie abgesagt. Er vereint die Vertreter jüdischer Zionisten weltweit und ist die legislative Säule der World Zionist Organization.
PARTEIEN Doch dieser Kongress ist von Spannungen beherrscht. Am Dienstag, berichtete die Online-Zeitung Times of Israel, hätten sich verschiedene jüdische Gruppen zusammengetan, darunter Hadassah, B‹nei B‹rith International, Maccabi, Naamat und WIZO, um kurzzeitig einen Plan der orthodoxen und rechtsgerichteten Parteien zu blockieren, die offenbar vorhaben, die leitenden Positionen der zur Wahl stehenden jüdischen Organisationen zu übernehmen.
Dem Bericht zufolge hätten die Regierungspartei Likud und orthodoxe Parteien des WZC die Top-Positionen für sich selbst reserviert. Die Delegierten, die die israelische Regierung repräsentieren, wollen sich demzufolge mit rechtsgerichteten und ultrareligiösen Juden im Ausland zusammentun und damit praktisch Zentrums- und liberale Gruppierungen umgehen.
Der diesjährige Kongress ist von Spannungen beherrscht. Sollen Zentrums- und liberale Gruppierungen umgangen werden?
PHILOSOPH Der französische Philosoph Bernard-Henri Levy äußerte sich dazu während des Kongresses: »Die Diaspora ist kein Überrest der Vergangenheit. Im Gegenteil, sie ist etwas, das schnell in den Mainstream des Zionismus integriert werden muss«. Das Diaspora-Leben und die jüdische Existenz, zum Beispiel für jene, die Rumänen, Italiener, Amerikaner oder Franzosen sind, sei etwas sehr Nobles. Etwas, das nicht auf die Erwartung reduziert werden kann, nach Jerusalem zu gehen, führte er aus.
»Ich denke nicht, dass die Existenz in der Diaspora, im Exil in irgendeiner Weise weniger ist.« Die Wahl der Führungspositionen wurde bis zum Donnerstag verschoben.