Herr Gaster, Sie sind Promoter und waren beim Festival »Universo Parallelo – Israel Edition« in der Nähe des Kibbuz Re’im. Wir sprechen jetzt am Dienstagmorgen miteinander, drei Tage, nachdem Hunderte junger Menschen, Besucher des Festivals, von der Terrororganisation Hamas ermordet wurden. Wie ist Ihnen gerade zumute?
Mir geht es nicht gut. So viele meiner Freunde sind tot, so viele werden noch vermisst, wir sind im Krieg … So unglaublich viele sind tot, von so vielen weiß man gar nichts. So viele sind gekidnappt: Frauen, Kinder, Babys. Ich kann mich nicht erinnern, wann es so etwas in den vergangenen Jahren gegeben hat, ich weiß einfach nicht, wann.
Sie waren vor Ort. Was ist dort geschehen? Können Sie beschreiben, wie der Angriff ablief?
Ich kann es ja nur aus meiner Perspektive schildern. Es fällt mir schwer, das für andere Menschen zu tun. Denn so viele Menschen mussten so vieles durchmachen. Es war ein Angriff auf den ganzen Süden Israels, nicht nur auf das Festival. Also: Das, was wir durchmachen mussten, begann um 6.30 Uhr am Samstagmorgen, mitten während des Festivals mit dem Raketenbeschuss durch die Hamas. Hunderte Raketen, Mörsergranaten – sie flogen über den ganzen Süden. Wir sahen viele Explosionen am Himmel über uns, neben uns. Wir schmissen uns auf den Boden, hielten unsere Hände schützend über unseren Kopf. Nach fünf Minuten wurde mir irgendwie klar, dass das ein größerer Angriff war. Wir wussten ja nicht, was noch passieren würde. Zu diesem Zeitpunkt gab es erst einmal ausschließlich Raketen und Granaten. Wir rannten zu unseren Autos, sprangen hinein und fuhren so schnell, wie es nur ging – ohne anzuhalten. Dass ich 30 Sekunden oder eine Minute lang, bevor die Terroristen auf das Gelände kamen, dass ich in dieser Zeit nicht angeschossen wurde, das war irgendwie mein Glück. Und nur deswegen bin ich noch am Leben.
Wann haben Sie Hilfe bekommen?
Wir haben uns selbst geholfen. Und das tun wir auch jetzt noch. Seit so vielen Jahren kennen wir diese Situationen. Die Armee macht ihren Job, die Polizei ihren, die Regierung ihren, aber wir mussten ja irgendetwas unternehmen. Alle unsere Freunde sind tot. Wir haben seitdem in kurzer Zeit versucht, Gruppen zu bilden, Freiwillige zu organisieren, die uns helfen, herauszufinden, wer vermisst ist, wer überhaupt noch lebt. Hunderte aus der Szene helfen uns freiwillig, organisieren Spenden, schicken Rettungsteams zum Ort, an dem das Festival stattfand, helfen der Armee mit alltäglichen Dingen, denn die Soldaten kämpfen nun. Und vor allem: um unsere Freunde zu lokalisieren und jede nur mögliche Information über sie ihren Familien zu überbringen. Denn viele warten immer noch darauf, dass ihre Lieben nach Hause kommen, und haben bisher keinerlei Information über ihren Verbleib.
Die irische Band U2 hat den »Beautiful Kids at the Festival« einen ihrer Songs gewidmet. Haben Sie das Reel sehen können?
Nein, ich habe noch gar nichts davon mitbekommen, denn wir sind seit Samstag damit beschäftigt, jede noch so kleine Information über jeden, der auf dem Festival war, zu sammeln. Ich habe noch nicht einmal irgendwelche Nachrichten gesehen. Das Wichtigste für uns und alle Freiwilligen hier ist, alle Informationen über jeden Vermissten – nicht nur vom Festival, sondern auch generell aus dem Süden – zu sammeln.
Wie gehen Sie mit der Situation um?
Ich hatte noch gar keine Zeit, mir des Ganzen wirklich bewusst zu werden. Das kommt vielleicht später. Momentan befinden wir uns ja im Kriegszustand. Wir müssen jetzt vorrangig erst einmal unterstützend da sein, etwas beitragen – so viel und so gut es nur geht.
Bis zu dem schrecklichen Samstagmorgen des 7. Oktober – wie war die Stimmung auf dem Festival?
Es war einfach wundervoll, es war einfach schön, ich habe so viele glückliche Leute gesehen. Ich habe viele Freunde von überall auf der Welt getroffen, die extra für dieses Festival angereist waren. Und natürlich auch viele Israelis. Die Dekoration für das Festival kam aus Brasilien. Es war wunderschön, wir waren so glücklich, die Künstler haben auf beiden Bühnen aufgelegt. Es war ein tolles Event. Die Menschen tanzten, sie waren glücklich, sie wollten sich amüsieren, sie wollten Musik hören, mit ihren Freunden Spaß haben – und von einem Augenblick zum anderen wurde daraus ein Albtraum.
Was wünschen Sie sich jetzt?
Dass der Krieg so schnell wie möglich aufhört und wir in Frieden leben können. Dass wir die Dinge, die wir lieben, machen können: Musik genießen, tanzen, friedlich zusammen sein. Das ist das Wichtigste. Und: den Familien so viele Informationen wie möglich über unsere Freunde zu überbringen. So viele werden immer noch vermisst, und die Angehörigen wollen erfahren, was mit ihnen geschehen ist. Das ist gerade das Allerwichtigste.
Mit dem Promoter sprach Katrin Richter.