Kriminalität

»Wir sind doch nicht in Sizilien«

Anschlag: Bei dieser Auto-Explosion im Süden Tel Avivs kam am 8. Februar »ein polizeibekannter Mann« ums Leben. Foto: Flash 90

Wieder einmal geschah es am helllichten Tag. Wie in einem Krimi aus den Hollywood-Studios stürmten Männer an einer Ampelkreuzung auf einen silbernen BMW zu und erschossen den Fahrer kaltblütig aus nächster Nähe. Dann flohen sie in einem wartenden Auto. Doch hier drehten keine Kameras, rief kein Regisseur seinen Schauspielern Anweisungen zu. Das, was am Samstagmittag in Tel Aviv geschah, war blutige Realität. Direkt neben der beliebten Strandpromenade wurde Taar Lala mit zehn Schüssen niedergestreckt. Es ist der vierte Tote im Krieg der Isra-Mafiosi in weniger als zwei Wochen.

Was sich noch vor wenigen Jahrzehnten eher in verbaler Gewalt und ein paar Fausthieben zwischen Kleinkriminellen Luft machte, hat sich zu einem Gemetzel entwickelt, in dem es kaum mehr Grenzen der Gewalt gibt. Die berüchtigten jüdischen und arabischen Clans, die die organisierte Kriminalität zu ihrem Hauptberuf erkoren haben, bedrohen, rauben, erpressen und töten, ohne Gnade.

Fehde Neuerdings, so bestätigt Polizeichef Jochanan Danino, benutzten die Räuber und Mörder für ihre blutige Fehde mit wachsender Vorliebe Bomben – der Effektivität wegen. In diesem Monat explodierten innerhalb von nur einer Woche zwei Fahrzeuge. Drei Menschen starben dabei durch ferngesteuerte Sprengsätze. Die Getöteten waren allesamt der israelischen Polizei durch ihre mehr oder minder unkoscheren Aktivitäten in einschlägigen Kreisen bekannt.

Auch Lala (26) war mitnichten ein Unbekannter. Der gebürtige Palästinenser, der sich durch Heirat Eintritt in die erlauchte arabische Gang-Gesellschaft von Jaffa verschafft hatte, war trotz seiner jungen Jahre schon hoch in der Hierarchie der kriminellen Familien geklettert. Mordversuch, gewalttätige Übergriffe und Autodiebstahl sind nur einige der Vergehen, die ihm vorgeworfen werden. Einen Tag später wurden vier Männer im Zusammenhang mit dem Mord festgenommen.

Kabinett Regierungschef Benjamin Netanjahu beeilte sich, unmittelbar nach dem Anschlag zu erklären: »Diese Mafiafamilien müssen Angst haben und nicht die unschuldigen Bürger. Denn wir werden sie und ihre Soldaten verhaften«. Zur Kabinettssitzung am Wochenbeginn versicherte er, dem Phänomen ein Ende zu bereiten. Doch das wird ein hartes Stück Arbeit werden. Denn die Statistik verheißt nichts Gutes: Elf Anschläge von Kriminellen auf Israels Straßen aus dem vergangenen Jahr sind noch immer nicht aufgeklärt. Und werden es wohl auch nie, befürchten Polizeiinsider.

Jochanan Danino sagte geradeheraus, dass es keine Polizeieinheit der Welt gäbe, die diese Anschläge komplett verhindern könne. Israelische Sicherheitskräfte würden regelmäßig kriminelle Attacken vereiteln. »Eigentlich fast täglich.« Der Polizeichef bezeichnete den Anstieg der Morde und Mordversuche im ganzen Land als »eine Art von Terrorismus« und gab zu, dass diese extrem skrupellosen Verbrechen inmitten lebendiger Städte im gleißenden Tageslicht das Sicherheitsgefühl der Bürger lähmten.

»Die Bomben als ein Mittel der Kriegsführung sind für sie mit geringerem Risiko verbunden, als dass man sie schnappt«, weiß Danino. Er erklärte, dass die Waffen und Sprengsätze der Gangster in den meisten Fällen aus den Beständen der Armee stammen. Sie werden herausgeschmuggelt und an die Mafiosi verkauft. Er rief daher zu mehr Koordination zwischen Militär und Polizei auf, um das zu stoppen. Auch der Abgeordnete der Arbeitspartei Mosche Misrachi machte im Armeeradio klar, dass es offensichtlich viel zu leicht sei, Material von der Armee zu entwenden. »Das muss sofort aufhören.«

Der Krieg der Unterwelt zieht immer häufiger unschuldige Passanten in Mitleidenschaft. So wurde bei dem Autobombenanschlag von vergangener Woche eine am Tatort vorbeigehende Familie mit einem Baby durch Schrapnelle verletzt. Eine andere Bombe detonierte in der Nähe eines Kindergartens. Vor einigen Jahren kam Margarita Lautin, Mutter von zwei Kindern, am Strand von Bat Yam im Schusshagel zwischen verfeindeten Banden ums Leben.

Tatort Der letzte Akt in dem blutigen Schauspiel war unweit des schicken Open-Air-Einkaufszentrums »Tachana« vollzogen worden. Die Geschäfte, Restaurants und Cafés werden täglich von Tausenden Touristen und Einheimischen besucht. Jan und Ewelina Kowalczyk schauen sich die Auslagen der Läden an. Das polnische Ehepaar macht eine Woche im Heiligen Land Urlaub und hat von dem Anschlag gehört. Grund, Angst zu haben, sehen die beiden aber nicht. »Schön ist so etwas natürlich nicht«, meint Jan. »Doch das passiert heute ja fast überall auf der Welt. Leider.«

Assif Katz allerdings ist nach dem jüngsten Gangster-Mordanschlag etwas mulmig zumute. Der Tel Aviver geht am Sonntagnachmittag auf der Tayelet, wie die Promenade in Israel genannt wird, spazieren. »Es ist doch Wahnsinn, was hier los ist. Ich lebe schon immer in dieser Gegend und gehe täglich mit meinem Hund raus. Es ist nicht so, dass ich vor Furcht erzittere, aber gut fühlt es sich nicht an, dass in unserer Stadt mitten am Tag gemeuchelt und gemordet wird.«

Seiner Meinung nach sei die Polizei viel zu lax im Umgang mit den kriminellen Banden im Land und müsse stärker durchgreifen. »Da hilft nur Einbuchten. Denn wir müssen geschützt werden. Es kann doch nicht sein, dass uns diese Ganoven nicht mehr auf die Straßen lassen. Das hier ist doch nicht Sizilien.«

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